Sharpes Flucht
ansah, legte er die Waffe an die Schulter. Das Pferd bewegte sich, und er knurrte es an, es solle still stehen.
Er zielte auf Slingsbys Rücken. Auf den unteren Teil seines Rückens. Auf die Stelle, wo oberhalb der Schöße des roten Rocks zwei Messingknöpfe aufgenäht waren. Sharpe stellte sich vor, wie Slingsby den Rücken krümmte, weil er ins Rückgrat getroffen worden war, wie er schauderte, während er stürzte, wie die Ketten an seiner Scheide schepperten, wenn er auf dem Boden aufschlug, und wie das Leben aufzuckte, während es darum kämpfte, in dem sterbenden Körper zu bleiben. Der verdammte kleine Bastard, dachte Sharpe, und sein Finger legte sich fester auf den Abzug der Waffe. Niemand beobachtete ihn, sie starrten alle auf die Kolonne, die näher herandrängte, und wenn ihm doch ein paar Männer zusahen, so würden sie annehmen, er ziele auf einen der Voltigeure. Es wäre durchaus nicht Sharpes erster Mord gewesen, und er zweifelte daran, dass es sein letzter sein würde. Und dann durchzuckte ihn ein jäher Anflug des Hasses, ein Anflug, der so heftig war, dass er schauderte und den Abzug beinahe gegen seinen Willen völlig durchzog. Das Gewehr schlug ihm gegen die Schulter und erschreckte sein Pferd, das zur Seite schnellte.
Die Kugel wirbelte über die Köpfe der Vierten Kompanie hinweg, verfehlte Lieutenant Slingsbys linken Arm um einen Zoll, streifte am Rand des Hangs einen Felsen, schoss nach oben und traf einen Voltigeur unter dem Kinn. Dem Mann war es gelungen, sich äußerst nahe an Slingsby heranzukämpfen, er hatte dort gestanden, um seine Muskete aus nächster Nähe abzufeuern, und Sharpes Kugel riss ihn vom Boden hoch, sodass er im Sterben aussah, als werde er von einer Fontäne Blut nach hinten geschleudert.
»Guter Gott, Richard! Das war ein ausgezeichneter Schuss.« Major Leroy hatte ihn gesehen. »Dieser Kerl hatte es auf Slingsby abgesehen. Ich habe ihn beobachtet.«
»Ich auch, Sir«, log Sharpe.
»Verdammt guter Schuss. Und das vom Pferd aus. Haben Sie das gesehen, Colonel?«
»Was bitte, Leroy?«
»Sharpe hat gerade Slingsby das Leben gerettet. Haben Sie das gesehen, Colonel?«
Sharpe hängte sich das Gewehr wieder um. Plötzlich schämte er sich. Slingsby mochte ein Ärgernis sein, er mochte ein aufgeblasener Pfau sein, aber er hatte nie etwas getan, um Sharpe Schaden zuzufügen. Es war nicht seine Schuld, dass sein Lachen, seine Gegenwart, seine pure äußere Erscheinung Sharpe zur Weißglut reizten, und ein neues Elend überkam Sharpe, das Elend des Wissens, dass er sich selbst enttäuscht hatte. Auch Lawfords überschwängliche Gratulationen, die er nicht verdient hatte, hellten seine Stimmung nicht auf. Er wandte sich vom Bataillon fort und starrte blicklos in den hinteren Bereich, wo zwei Männer vor dem Zelt des Feldarztes einen verwundeten Grenadier auf einem Tisch festhielten. Blut spritzte von der Säge, die über dem Oberschenkelknochen des Mannes vor und zurück geführt wurde. Ein paar Yards davon entfernt bewachten ein verwundeter Mann und zwei der Ehefrauen der Bataillonsmitglieder, alle bewaffnet mit französischen Musketen, ein Dutzend Gefangene. Ein Kleinkind spielte mit einem französischen Bajonett. Mönche führten ein Dutzend Maultiere, die mit Wasserfässern beladen waren, heran und verteilten das Wasser unter den alliierten Truppen. Ein portugiesisches Bataillon, gefolgt von fünf Kompanien von Rotröcken, marschierte auf der neuen Straße nach Norden, offensichtlich um die Kämpfenden am nördlichen Ende der Anhöhe zu verstärken. Ein galoppierender Reiter, der Nachrichten von einem General zum anderen transportierte, jagte die neue Straße entlang und wirbelte hinter sich eine Staubwolke auf. Das Kleinkind schimpfte auf den Reiter, der es erschreckt hatte, als er allzu dicht an ihm vorbeigesprengt war, und die Frauen lachten. Die Mönche luden ein Fass Wasser hinter dem South Essex Regiment ab, dann gingen sie weiter zur portugiesischen Brigade.
»Sie sind zu weit weg, um anzugreifen«, rief Lawford hinüber zu Sharpe.
Sharpe drehte sich um und sah, dass die Kolonne erneut zum Stillstand gekommen war. Der Boden, den sie hatten besetzen wollen, war vom South Essex Regiment eingenommen worden, und jetzt gab sich die gewaltige Masse von Männern damit zufrieden, langsam nach außen auszuschwärmen, um eine dichte Linie zu formen und dann mit den Truppen auf dem Hügelkamm Musketenschüsse auszutauschen. Der Angriff war aufgehalten worden, und auch
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