Sharpes Gold (German Edition)
hatte die Landschaft nichts Befremdliches. Eine Bergdrossel flatterte erschrocken lärmend vor der Kompanie auf, und Sharpe sah Harpers freudiges Lächeln. Der Sergeant hätte sein Leben damit verbringen können, Vögel zu beobachten, aber er schenkte der Drossel nur ein paar Sekunden seine Aufmerksamkeit, ehe er erneut den Horizont absuchte. Alles wirkte friedlich, ein Gebirgstal im morgendlichen Sonnenschein, aber die ganze Kompanie befand sich wegen der plötzlichen Erkenntnis des Majors in Alarmbereitschaft.
Als sie über eine Meile zurückgelegt hatten und das Tal sich zu einer kahlen Hochebene abzuflachen begann, schlang Kearsey Marlboroughs Zügel um einen Felsbrocken. Er sprach mit dem Pferd, und Sharpe machte sich klar, dass der kleine Major an vielen einsamen Tagen hinter den französischen Linien nur diesen großen intelligenten Rotschimmel zur Gesellschaft hatte. Der Major wandte sich Sharpe zu, und seine Stimme klang wieder barsch. »Kommen Sie. Bleiben Sie in Deckung.«
Die Hochebene erwies sich als optische Täuschung. Dahinter befand sich eine Senke, die wie eine Schüssel geformt war, und als Sharpe ihren Rand erreichte, stellte er fest, dass Kearsey sie zu einem hoch gelegenen Aussichtspunkt geführt hatte, über dem nur noch der Gipfel des Berges mit dem weißen Signalstein aufragte. Der Aufstieg zum Rand der Senke war steil, für ein Pferd nicht zu bewältigen. Die Kompanie stolperte hinab in die Schüssel und ließ sich dort nieder, dankbar für die Rast, während Kearsey Sharpe auf die andere Seite winkte. »Bleiben Sie in Deckung!« Die beiden Offiziere krochen auf Händen und Füßen an der Innenwand der Senke empor, spähten sodann über ihren Rand.
»Casatejada«, verkündete Kearsey beinahe widerstrebend, als sei es ihm nicht recht, den Anblick dieses hohen, abgelegenen Ortes mit einem anderen Engländer zu teilen.
Casatejada war wunderschön. Ein kleines Dorf in einem hoch gelegenen Tal, dort erbaut, wo zwei Bäche ineinanderflossen und genug Land bewässerten, um an die vierzig Häuser zu versorgen. Sharpe begann sich die Anlage des Dorfes einzuprägen, von dem alten Festungsturm am einen Ende der Hauptstraße, der daran erinnerte, dass sie sich im Grenzgebiet befanden, bis hin zu dem vereinzelten großen Haus am anderen Ende. Er wagte es nicht, sein Fernrohr zu benutzen, es in östlicher Richtung in die aufgehende Sonne zu richten, die auf der Linse hätte aufblitzen können. Aber er sah auch so, dass das Haus um einen üppig bewachsenen Innenhof herumgebaut war und dass innerhalb seiner Außenmauern Stallungen und Nebengebäude lagen. Er erkundigte sich bei Kearsey danach.
»Das ist Morenos Haus, Sharpe.«
»Ist er reich?«
Kearsey zuckte mit den Schultern. »Früher einmal. Der Familie gehört das ganze Tal und noch eine Menge anderes Land. Aber wer ist schon reich, solange die Franzosen hier sind?« Kearsey wandte den Blick nach links, die Straße entlang. »Das Castillo . Jetzt nur noch eine Ruine, aber da haben sie einst Zuflucht gesucht, wenn sie von den Bergen her angegriffen wurden.«
Es waren keine Tiere zu sehen, auch keine Menschen, und der Wind zauste die Gerste, die längst hätte geerntet werden müssen. Die einzige Dorfstraße war leer. Sharpe ließ seine Blicke über die Kirche und einen flachen Weidegrund hinweg zu einigen verkrüppelten Obstbäumen schweifen. Dort standen, halb verborgen durch den Obstgarten, eine weitere Kirche und ein Glockenturm.
»Was hat es mit der zweiten Kirche auf sich?«
»Das ist die Einsiedelei.«
»Einsiedelei?«
Kearsey grunzte. »Dort hat vor langer Zeit ein heiliger Mann gelebt, und sie haben ihm einen Schrein gebaut. Das Gebäude wird nicht mehr benutzt, nur der Friedhof, der dort angelegt ist.« Sharpe konnte die ummauerte Begräbnisstätte durch die Bäume erkennen. Kearsey zeigte auf die Einsiedelei. »Dort ist das Gold untergebracht.«
»Wo ist es versteckt?«
»In der Gruft der Morenos, im Innern der Kirche.«
Die Dorfstraße verlief quer zu Sharpes Blickfeld von links nach rechts. Zur Rechten, also im Süden, ging die Straße in einen Weg über, der am anderen Ende des Tals in den purpurnen Schatten verschwand. Links dagegen führte die Straße dichter an die Berge heran, ehe sie zwischen den Hängen verschwand. Er deutete in diese Richtung.
»Wo führt der Weg hin?«
»Zur Furt bei San Anton.« Kearsey kaute an seinem grauen Schnurrbart und spähte zu dem weißen Stein auf dem Gipfel hinauf. »Sie müssen dort
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