Sharpes Trafalgar
lag.
»Die Ostspitze von Madagaskar«, sagte Leutnant Tufnell, und den ganzen Tag starrten die Passagiere zu den Wolken, als zeigten sie etwas Bedeutendes an.
Am folgenden Tag waren die Wolken verschwunden. Tufnell erzählte Sharpe, dass sie immer noch der Küste von Madagaskar folgten, die jetzt jenseits der Kimm lag. »Die nächste Landkennung wird die Küste von Afrika sein«, sagte Tufnell. »Und dort werden wir eine schnelle Strömung finden, die uns um Kapstadt herumträgt.«
Die beiden Männer sprachen auf dem abgedunkelten Achterdeck. Es war nach Mitternacht, seit der Sichtung von Madagaskar die dritte Nacht in Folge, in der Sharpe in den frühen Stunden in der Hoffnung, Lady Grace anzutreffen, aufs Achterdeck gegangen war. Der Wachoffizier hatte jede Nacht seine Gesellschaft zu schätzen gewusst und keine Ahnung gehabt, was Sharpe dort wollte.
Lady Grace war an den ersten beiden Tagen nicht aufgetaucht, doch als Sharpe jetzt neben dem Leutnant stand, hörte er das Knarren einer Tür. Jemand stieg auf leisen Sohlen die Treppe zum Achterdeck hinauf. Sharpe wartete, bis der Leutnant ging, um mit dem Steuermann zu sprechen, dann wandte er sich um und ging selbst zum Achterdeck.
Eine dünne Mondsichel glänzte auf der See und bot gerade genügend Licht für Sharpe, um Lady Grace zu erkennen, die, in einen dunklen Mantel gehüllt, neben der Hecklaterne stand. Sie war allein, ohne Dienstmädchen, das die Anstandsdame spielte, und Sharpe gesellte sich zu ihr. Er stellte sich einen Schritt links von ihr hin, legte wie sie eine Hand auf die Reling und starrte in das vom Mondschein versilberte Kielwasser, das in der Dunkelheit zurückblieb. Das große Besansegel ragte blass über ihnen auf.
Beide schwiegen. Sie blickte nicht zu ihm, als er sich zu ihr gesellte, ging jedoch nicht fort. Sie starrte nur auf die See.
»Pohlmann ...«, sagte Sharpe schließlich sehr leise, denn zwei Oberlichter der Kapitänskajüte standen offen, und er wollte nicht, dass jemand mithören konnte, »... behauptet, Captain Cromwell nicht zu kennen.«
»Pohlmann?«, fragte Lady Grace und blickte Sharpe stirnrunzelnd an.
»Der Baron von Dornberg ist kein Baron, Mylady.«
Sharpe brach sein Wort, das er Pohlmann gegeben hatte, doch es machte ihm nichts aus, nicht, wenn er so nahe bei Lady Grace stehen konnte, dass er ihr Parfüm wahrnahm. »Sein Name ist Anthony Pohlmann, und er war einst Sergeant in einem Hannoveranischen Regiment, das von der East India Company angeworben wurde. Aber er desertierte. Er war der Befehlshaber der feindlichen Armee bei Assaye.«
»Befehlshaber?« Sie klang überrascht.
»Ja, Ma'am. Er war der feindliche General.«
Sie starrte wieder auf die See. »Warum haben Sie ihn geschützt?«
»Ich mag ihn«, sagte Sharpe. »Ich habe ihn immer gemocht. Er machte mir einst das Angebot, mich in der Marathen-Armee zum Offizier zu machen, und ich bekenne, dass ich versucht war. Er sagte, er würde mich reich machen.«
Sie lächelte ihn an. »Sie wollen reich sein, Mister Sharpe?«
»Das ist besser, als arm zu sein, Mylady.«
»Ja«, sagte sie, »stimmt. Warum erzählen Sie mir jetzt von Pohlmann?«
»Weil er mich angelogen hat, Ma'am.«
»Sie angelogen?«
»Er sagte mir, er kenne den Captain nicht, und Sie haben mir gesagt, dass er ihn kennt.«
Sie drehte sich wieder zu ihm. »Vielleicht habe ich Sie angelogen.«
»Haben Sie das?«
»Nein.« Sie blickte zum Oberlicht der Kapitänskajüte, dann ging sie zur fernen Ecke des Decks, wo eine kleine Signalkanone an der Bordwand festgezurrt war. Sie blieb zwischen der Kanone und der Heckreling stehen, und nach kurzem Zögern ging Sharpe zu ihr. »Das gefällt mir nicht«, sagte sie leise.
»Was gefällt Ihnen nicht, Ma'am?«
»Dass wir östlich von Madagaskar segeln. Warum?«
Sharpe zuckte mit den Schultern. »Pohlmann sagte mir, wir versuchen den Konvoi abzuhängen, als Erste nach London zu gelangen und die Fracht zu den besten Preisen auf den Markt zu bringen.«
»Niemand segelt um Madagaskar herum«, sagte sie. »Niemand! Das wird uns Zeit kosten, und auf diesem Kurs geraten wir viel näher an die Ile-de-France.«
»Mauritius?«, fragte Sharpe.
Sie nickte. Mauritius - oder die Ile-de-France - war der feindliche Stützpunkt im Indischen Ozean, die Inselfestung für Plünderer und Kriegsschiffe mit einem Haupthafen, der von tückischen Korallenriffen und steinernen Festungen geschützt war. »Ich habe William all dies gesagt, aber er hat mich ausgelacht. Was
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