Shelter Bay - 02 - Furienlied
prallte –, als jemand ihm einen gewaltigen Schlag gegen die Schulter versetzte. Angus schlug zurück und für einen Moment taumelte der Mann rückwärts – weit genug, dass Zoe sein Gesicht sehen konnte, das in einer kritischen Mischung aus Hass, Furcht und Wahnsinn verzerrt war. Der Mann hob den Arm und im schwachen Schein des leuchtenden Bankschilds sah Zoe eine Waffe aufblitzen. Der Mann drehte sich zu ihr um.
»Hey!«, brüllte Angus.
Im Bruchteil einer Sekunde spürte Zoe ein Feuer durch ihren Körper schießen, das sie entzündete wie trockenen Zunder. Ihr Körper wurde taub und sie spürte ihre Gliedmaßen nicht mehr, doch sie konnte sehen, wie sie sich bewegten. Wie ein unbeteiligter Zuschauer beobachtete sie, wie sie auf den Mann zuging und seinen Arm packte. Ihre Hand glühte in dem sanften Orange eines Sonnenaufgangs, als leuchte sie von innen heraus. Der Mann schrie vor Schmerzen. Sie hörte das Krachen von Knochen und die Waffe fiel klappernd aufs Pflaster. Und dann sah sie, wie sie dem Mann einen Schlag gegen die Brust versetzte, der ihn nach hinten taumeln und drei Meter weiter der Länge nach hinfallen ließ.
Schmerz durchbohrte ihren Schädel und zwang Zoe in die Knie.
»Alles okay?«, fragte Angus, während er sich vor sie kniete.
Nein, dachte sie. Sie fühlte sich schwach, schwindelig und verwirrt. Sie hob die Hand an die Schläfe. Keine Wunde. Es waren nur Kopfschmerzen, so stark, dass sie sich anfühlten wie eine Verletzung. »Schnapp dir die Knarre«, flüsterte sie. Sie sah auf ihren Arm hinunter, der immer noch leuchtete wie eine heiß glühende Kohle. Kurz darauf verblasste das Leuchten und wurde zu dem bleichen Schatten von heller Haut in der Dunkelheit.
Angus hatte das ganz offensichtlich nicht bemerkt – seine Aufmerksamkeit galt anderen Dingen. Er griff nach der Waffe. »Scheiße!«, fluchte er. »Heiß!« Er schaffte es, seine Hand in sein Hemd zu wickeln und die Waffe so zu halten, als der Mann sich aufrappelte. »Keine Bewegung«, brüllte Angus.
Das Lächeln des Mannes war unheimlich, gespenstisch. »Du weißt doch gar nicht, wie man damit umgeht«, zischte er.
Angus entsicherte die Waffe. »Meine ganze Familie besteht aus Cops, Arschloch.«
Der Mann zögerte. Er machte einen Schritt auf sie zu und in dem Moment stürzte sich eine dunkle Gestalt aus einem Baum.
»Scheiße!«, schrie Angus, als die Gestalt auf dem Mann landete und ihn umriss. Angus zielte auf das schattenhafte Wesen, das sofort zurückwich und die Hände hob. Große, dunkle Augen starrten sie verängstigt an.
»Kirk«, rief Zoe.
»Oh mein Gott.« Angus ließ den Arm sinken. »Um ein Haar hätte ich dich gekillt, Mann.«
Kirk sah sie einen Augenblick lang an, dann drehte er sich um und rannte davon.
»Kirk!«, rief Zoe hinter ihm her. »Kirk!«
»Lass ihn gehen«, sagte Angus matt. »Gott, warum sitzt er ständig in Bäumen rum?« Er zog ein Handy aus seiner Tasche.
»Rufst du die Polizei?«
»Nein, ich dachte, ich bestell uns eine Pizza«, antwortete Angus, während er den Notruf wählte. »Diese ganze Verbrecherbekämpfungsnummer macht echt hungrig.«
Zoe lachte schwach, woraufhin der Schmerz in ihrer Schläfe wieder aufflammte. Sie holte tief Luft. Angus gab gerade ihre Position durch und Zoe wusste, dass es nur wenige Augenblicke dauern würde, bis ein Streifenwagen der Polizei von Shelter Bay eintraf.
Der Mann stöhnte leise. Seine Hand hing in einem unnatürlichen Winkel herunter und Zoe fragte sich, ob sie sie ihm gebrochen hatte. Das Licht der Straßenlaterne schien auf sein Gesicht. In seinem halb bewusstlosen Zustand sah er nicht mehr so bedrohlich aus. Er war weiß, um die vierzig, mit einer hohen Stirn und einem pockennarbigen Gesicht.
Angus legte auf und musterte den Mann. »Ich hab das Gefühl, ich kenn den von irgendwoher.«
»Woher könntest du den denn kennen?«, fragte Zoe.
»Kleinstadt«, antwortete Angus. »Vielleicht hab ich ihn mal auf dem Polizeirevier gesehen.«
Zoe nickte. Das war möglich. Alles war möglich.
Mitleid stieg in ihr auf und sie hoffte, dass sie ihn nicht allzu schwer verletzt hatte. In der Dunkelheit hatte er so bedrohlich gewirkt. Jetzt dagegen sah er ganz normal aus, wie jemand, dem man im Supermarkt begegnen oder der einem in der Zahnarztpraxis die Tür aufhalten würde.
Im Dunklen sieht alles ganz anders aus, hatte Angus gesagt.
Ja, dachte Zoe. Alles.
Kapitel 12
Aus der Shelter Bay Gazette
Polizeiprotokoll: Fall von Vandalismus
Vergangenen
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