Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel

früheren Arbeitgeber ein Unrecht zugefügt haben.“

    „Das erleichtert mich sehr, Mr Holmes. Aber nun ...“ Sie öffnete ihre Handtasche.
    „Nein, nein, nein, Miss Payton. Sie schulden uns nichts. Ich wäre aufs Tödlichste beleidigt, würden Sie Ihre Geldbörse öffnen. Dies war vielleicht der bizarrste Fall meiner Laufbahn, und ihn erlebt zu haben ist mir Lohn genug. Außerdem ermahnt er mich, niemals nur das Naheliegende zu denken, sondern auch das Fernstliegende in meine Überlegungen einzubeziehen.“
    „Ja, wenn das so ist, Mr Holmes ...“ Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.
    „Ich habe den Auftrag, Ihnen ein kleines Geschenk auszuhändigen.
    Watson!“
    „Gerne.“ Ich erhob mich, um das schwere Buch vom Tisch zu nehmen, das ich ihr überreichen sollte.
    „Das dürfte Sie interessieren. Charles Ranhofer4, The Epicureen .
    Charles Ranhofer ist ein berühmter amerikanischer Gastronom. Ich empfehle Ihnen, Ihr Augenmerk zum Beispiel auf „Veal pie à la Dickens“ oder den „Salad à la Dumas“ zu richten, mit denen Ihre Küche jederzeit wird Ehre einlegen können. Ich habe mir erlaubt, die entsprechenden Rezepte durch eingelegte Zettel zu kennzeichnen.“
    „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Mr Holmes. Solch ein wertvolles Geschenk habe ich noch nie bekommen.“
    „Danken Sie nicht mir, Miss Payton, danken Sie Dr. Maltravers. Er hat mich gebeten, Ihnen das Buch zu übergeben. Betrachten Sie es als eine Gabe der Verbundenheit, aber auch seines Verzeihens. Dr.
    Maltravers trägt Ihnen nichts nach. Und wenn Sie mögen, können Sie wieder bei ihm in Stellung gehen. Aber dieses Mal unbefristet. Er bietet Ihnen 40 Pfund pro Jahr.“
    „Ich werde es mir überlegen, Mr Holmes.“
    „Tun Sie das, Miss Payton. Dr. Maltravers würde sich übrigens glücklich schätzen, wenn Sie ihm die genannten Rezepte zubereiten würden. Und ich denke, dass wir dann, wenn wir irgendwann einmal in Kent’s Rest Wiedersehen feiern, auch Ihre Kochkünste genießen dürfen.“
    „So soll es sein, Mr Holmes. Dr. Watson!“
    „Eins verstehe ich nicht“, schloss ich, nachdem uns Miss Payton, glücklich das schwere Kochbuch im Arm haltend, verlassen hatte.
    „Warum hat sich Dr. Maltravers nicht gleich an eine Kapazität wie Sir Hillary gewandt?“
    „Das ist der Punkt, an dem er anfing, irrational zu handeln. Extrem fehlsichtige Menschen neigen oft aufgrund ihrer Sehschwäche zu äußerstem Misstrauen. Jedenfalls steigerte er sich in eine wahnhafte Geheimnistuerei hinein, weil er fürchtete, seine Mutter würde in einer Irrenanstalt enden.“
    „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“, antwortete ich.
    „Mit guten Vorsätzen, sagte Shaw glaube ich, Watson, mit guten Vorsätzen. Aber sonst haben Sie Recht. Wie immer!“ Er nahm die Orchidee, die uns Dr. Maltravers verehrt hatte, um sie ausführlich zu betrachten. „Welche Eleganz der Form! Welche Ausgewogenheit der Farben! Wie meinte doch Abt Chrysostomos ganz richtig? ‚In der Orchidee offenbart sich die Schöpferkunst unseres Herren in höchster Vollendung’.“
    Ich blieb skeptisch. „Sagte das nicht ein gewisser Sherlock Holmes?“
    „Vielleicht, Watson, vielleicht? Aber was ändert das?“ Nichts. Das musste ich zugeben. Und so blieb wie meist das letzte Wort bei meinem Freund.

 

Christian Endres
    www.christianendres.de
    ist gelernter Medienoperator und hat seit jeher eine Schwäche für Fantastik aller Art, Comics, Sherlock Holmes und Musik von Falco. Er schreibt regelmäßig für das Ber-liner Hauptstadtmagazin zitty , den Tagesspiegel, Nautilus - Abenteuer & Phantastik , das ICOM COMIC!-Jahrbuch , deadline, phantastisch! und Das Science Fiction Jahr . Im Comic-Bereich ist er als Redakteur für Panini, Cross Cult und Modern Tales tätig und betreut dort u. a. die deutschen Ausgaben von Spider-Man, Conan, den Avengers und Hellboy. Zu seinen Werken als Autor zählen der Fantasy-Episodenroman Der Preis des Lebens sowie die beiden Story-Sammlungen Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes und Die Zombies von Oz . Seine Kurzgeschichte Feuerteufel (2009) wurde ebenso wie seine Sammlung fantastischer Fälle aus der Baker Street (2010) mit dem „Deutschen Phantastik Preis“ ausgezeichnet.
    Christian Endres lebt als freier Autor und Redakteur in der Nähe von Würzburg.

SHERLOCK HOLMES UND DAS UHRWERK DES TODES

    Christian Endres

    Das Jahr 1894 brachte viele Veränderungen mit sich. Nicht nur, dass die Tower Bridge