Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
auch nur guten Morgen zu sagen. «
»Glauben Sie, daß sie sich gestritten haben?«
»Es war ein bitterer, wilder, haßerfüllter Streit. Warum sollte er sonst ihren Lieblingsspaniel weggeben, den sie geliebt hat, als wenn es ihr eigenes Kind gewesen wäre? Er hat ihn vor ein paar Tagen an den alten Barnes gegeben, dem Gastwirt, der den >Green Dragon<, drei Meilen von uns entfernt in Crendall, führt. «
»Das ist wirklich sehr seltsam.«
»Sie hat ein schwaches Herz und Wassersucht. Da kann man nicht von ihr erwarten, daß sie viel mit ihm unterwegs war, aber er verbrachte an jedem Abend zwei Stunden in ihrem Zimmer. Es war wohl kein Fehler, daß er für sie tat, was er konnte, denn sie war ihm wirklich in Freundschaft zugeneigt. Aber auch das ist nun alles vorbei. Er kommt niemals mehr in ihre Nähe. Sie brütet vor sich hin und ist schlecht gelaunt, Mr. Holmes, - und sie trinkt -, sie trinkt wie ein Fisch.«
»Hat sie auch vor dem Streit schon getrunken?«
»Na ja, sie hat wohl mal ein Glas getrunken, aber jetzt trinkt sie eine ganze Flasche pro Abend. Jedenfalls sagt Stephens, der Butler, das. Es hat sich alles geändert, Mr. Holmes und irgend-wie ist die Sache verdammt faul. Und dann, was tut der Boß nachts allein in der Krypta der alten Kapelle? Und wer ist der Mann, den er dort trifft? «
Holmes rieb sich die Hände.
»Weiter, Mr. Mason. Die Sache wird wirklich immer interessanter. «
»Der Butler hat ihn dorthin gehen sehen. Es war zwölf Uhr nachts und regnete stark. So bin ich am nächsten Abend aufgeblieben und habe aufgepaßt, und was meinen Sie, mein Boß ging wieder hin. Stephens und ich sind ihm nachgegangen, aber es war nicht so einfach, denn es wäre nicht gut für uns gewesen, wenn er uns wahrgenommen hätte. Er schlägt kräftig zu mit der Faust, wenn er erst einmal in Rage ist, und es ist ihm egal, wen er trifft. So haben wir uns gehütet, zu nahe heranzugehen, aber gesehen, wohin er ging, haben wir trotzdem. Er ging zu dieser alten Krypta, in der es spukt. Und dort war auch der Mann, der ihn erwartete. «
»Was hat es mit dieser Krypta auf sich?«
»Sir, das ist eine alte, fast verfallene Kapelle im Park. Sie ist so alt, daß sie niemand richtig datieren kann. Unter dieser Kapelle liegt die Krypta, über die niemand bei uns gerne spricht.
Am Tage ist sie ein feuchtkalter, einsamer Ort, aber nur wenige würden es über sich bringen, in der Nacht in ihre Nähe zu gehen.
Aber unser Boß fürchtet sich nicht. Er hat niemals im Leben vor etwas Angst gehabt. Aber was treibt er dort mitten in der Nacht? «
»Nicht so schnell«, sagte Holmes. »Sie sagten, es sei noch ein anderer Mann dort gewesen.
Sicher war es jemand aus dem Stall oder dem Haus. Sie brauchen doch nur herauszufinden, wer er ist, und ihn zu fragen.«
»Es ist aber niemand, den ich kenne.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich ihn gesehen habe, Mr. Holmes. Es war in jener zweiten Nacht. Sir Robert machte plötzlich kehrt und ging an uns vorbei. Stephens und ich hockten im Gebüsch wie zwei Hä-
schen, denn der Mond schien an diesem Abend ein bißchen. Aber wir konnten hören, daß der andere hinter ihm herging. Vor ihm hatten wir keine Angst. So kamen wir aus dem Gebüsch heraus, als Sir Robert vorbei war und taten so, als ob wir einen schönen Mondscheinspazier-gang machten,und so trafen wir auf ihn, ganz unschuldig und natürlich. >Hallo, Kamerad, wer sind Sie denn?< sagte ich. Ich glaube nicht, daß er uns kommen hören hat, denn er sah über seine Schulter mit einem Gesicht, als wenn er den Teufel aus der Hölle hatte kommen sehen.
Er schrie auf und rannte davon, alles was das Zeug halten wollte. Und er konnte rennen! Das muß man ihm lassen. Nach einer Minute war er außer Gesichts- und Hörweite. Wer er war, und was er wollte, konnten wir so leider nicht mehr herausfinden.«
»Aber Sie haben ihn deutlich im Mondschein gesehen?«
»Ja, ein scheußliches, gelbes Gesicht. Ein gemeiner Hund, würde ich sagen. Was sollte er mit Sir Robert zu tun haben?« Längere Zeit saß Holmes tief in Gedanken da.
»Wer leistet Lady Beatrice Falder Gesellschaft?« fragte er schließlich.
»Eine Zofe, Carrie Evans. Sie ist jetzt an die fünf Jahre bei ihr.«
»Und natürlich treu ergeben.«
Mr. Mason rutschte unruhig in seinem Stuhl herum.
»Ja, sie ist sehr treu«, sagte er schließlich, »aber ich möchte nicht sagen, wem gegenüber.«
»Ah«, sagte Sherlock Holmes.
»Ich darf nicht zu sehr aus der Schule
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