Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
später erschien ein Absatz in der >Morning Post<, der besagte, daß die Heirat zwischen Baron Adalbert Gruner und Miß Violet de Merville nicht stattfinden würde. Die gleiche Zeitung berichtete über die Gerichtsverhandlung gegen Miß Kitty Winter wegen der ernsten Anklage von Vitriolwerfen.
In dem Verfahren kamen jedoch so viele mildernde Umstände für sie heraus, daß ihre Strafe sich für ein solches Vergehen auf das Minimum belief.
Auch Sherlock Holmes hatte eine Anzeige wegen Einbruch erhalten, aber wenn man sehr gute Gründe hat und der Klient einen so bekannten und ehrfurchtgebietenden Namen, wird sogar die harte britische Gesetzgebung menschlich. Mein Freund hat bisher noch nicht auf der An-klagebank gesessen.
Der bleiche Soldat
Die Ideen meines Freundes Watson sind zwar begrenzt, aber er verfolgt sie mit großer Hals-starrigkeit. Lange Zeit hat er mich bedrängt, einmal selber einen Erfahrungsbericht zu schreiben. Vielleicht habe ich mir dies selber zuzuschreiben, denn ich habe oft Gelegenheit genommen, ihn darauf hinzuweisen, wie oberflächlich seine eigenen Berichte sind. Ich habe ihm oft vorgehalten, daß er dem öffentlichen Geschmack huldigt, anstatt sich fest an Fakten zu halten. »Versuchen Sie es selber, Holmes«, antwortete er dann jedes Mal. Nun, da ich selber die Feder in die Hand nehme, merke ich erst, daß die Dinge auch so präsentiert werden müssen, daß sie den Leser interessieren. Der Fall, von dem ich Ihnen jetzt berichten werde, wird dieses Ziel nicht verfehlen, denn er gehört zu den erstaunlichsten in meiner Sammlung. Der Zufall will es jedoch, daß Watson sich diesen Fall nicht notiert hat. Jetzt muß ich einmal ein Wort über meinen alten Freund und Biographen sagen. Sie haben den Eindruck, daß mein Ge-fährte eine Menge kleinerer Arbeiten für mich erledigt. Ich habe aber meinen Kameraden nicht aus Sentimentalität oder einfach aus Gewohnheit so gerne um mich, sondern Watson ist wirklich ein sehr eigenständiger Charakter. In seiner Bescheidenheit erwähnt er seine eigenen Stärken sehr selten, während er meine Fähigkeiten immer herausstreicht und oft übertreibt.
Ein Verbündeter, der Ihre Schlüsse und Handlungsweisen voraussieht, ist immer gefährlich.
Aber jemand, für den jede neue Entwicklung immer wieder wie eine Überraschung kommt, der nie vorausahnt, was die nächste Stunde bringt, ist wahrlich der ideale Helfer.
Ich sehe in meinem Notizbuch, daß meine Geschichte im Januar 1903 stattfand, kurz nach Beendigung des Burenkrieges. Ich bekam Besuch von Mr. James M. Dodd, einem großen, frischen, sonnenverbrannten und aufrechten Engländer. Der gute Watson hatte mich damals verlassen, denn er hatte sich wiederverheiratet. Die einzige selbstsüchtige Handlung, die ich ihm nachsagen kann. Ich war alleine.
Ich habe es mir angewöhnt, mit dem Rücken zum Fenster zu sitzen. Meinen Besuchern biete ich den gegenüberliegenden Stuhl an. So fällt das Licht vom Fenster her voll auf sie. Mr. James M. Dodd wußte nicht recht, wie er das Gespräch eröffnen sollte. Ich half ihm nicht, denn sein Schweigen gab mir die Möglichkeit, ihn zu beobachten. Ich gebe dann meinen Klienten ein paar Beispiele meines Könnens. So tat ich es auch jetzt.
»Sie kommen von Südafrika, Sir, wie ich sehe.«
»Ja, Sir«, antwortete er ein wenig überrascht.
»Königliche berittene Landmiliz?«
»Richtig.«
»Middlesex Corps, ohne Zweifel.«
»So ist es, Mr. Holmes, Sie sind ein Hellseher.« Ich lächelte über sein verwundertes Gesicht.
»Wenn ein so männlicher Herr in meine Wohnung kommt und eine Hautfarbe hat, die die englische Sonne nie hervorbringen kann, der sein Taschentuch im Ärmel trägt, statt in der Tasche, dann ist es nicht schwer, seinen Platz auszumachen. Sie tragen einen kurzen Bart, das zeigt, daß Sie nicht zum Berufsheer gehören. Sie haben eine Reiterfigur. Was Middlesex angeht, so hat mir Ihre Karte schon gezeigt, daß Sie Effektenhändler aus der Throgmorton Street sind. Zu welch anderem Regiment könnten Sie also gehören?«
»Sie sehen alles. «
»Ich sehe nicht mehr als Sie, aber ich bin darauf trainiert, so daß ich von allem, was ich sehe, auch Notiz nehme. Wie dem aber auch sei, Sie haben mich heute morgen sicher nicht aufgesucht, um Beobachtungsgabe zu diskutieren. Was ist im Alten Park von Tuxbury geschehen?«
»Mr. Holmes...!«
»Mein lieber Sir, das ist kein Geheimnis. Ihr Brief hatte diese Adresse, und da Ihnen sehr daran gelegen war, einen möglichst
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