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Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel

Titel: Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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gefasst wurde. Meine Mutter aber gab nicht auf, sich für die Menschen einzusetzen. Mit den Jahren wurde sie eine bekannte Aktivistin. Vielleicht unterschätzte sie die Unersättlichkeit dieser neuen Welt, die sie immer weiter von denen entfernte, für die sie stritt. Bittere Armut und fantastischer Reichtum gedeihen oft nebeneinander, und beide wecken das Schlechte im Menschen. Auf den Empfängen im Präsidentenpalast am Champ de Mars verliebte sich schließlich ein junger Europäer in sie. Dieser Mann – mein Vater – war der Sohn des griechischen Botschafters. Auch wenn er ein aufrechter Mensch gewesen war, so waren es doch er und die Gebote der Politik, die meine Mutter ihren langen Kampf schließlich aufgeben ließ. Sie starb bei einem Unfall, als ich zwölf war. Mein Vater lebt heute in Thessaloniki. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal wirkte er alt und unglücklich, und ich schaffte es nicht mehr, die Welten zu überbrücken, die uns entzweit hatten.
    Denn mein Leben ist hier, in den Straßen Carrefours. Ich setze die Arbeit meiner Mutter fort, so gut ich kann – den Armen helfen, die Kranken heilen. Manchmal, wenn ich mich ihrer würdig erweise, sprechen die loa durch mich, wie sie durch meine Mutter gesprochen haben. Noch aber stehe ich in ihrem Schatten. Die letzte Entscheidung, sagt Aristide, habe ich noch nicht getroffen.

    Mein erster Eindruck von Holmes war der eines Mannes, der zu lange in einen Abgrund gestarrt hatte. Seine Augen lagen tief und gleiß-
    ten wie der Mond hinter Wolken; seine Nase erinnerte mich an die Raben, die über den Armenvierteln der Stadt kreisen. Seine Hände waren lang und bleich. Dann trat er aus den Schatten hervor, und der Eindruck milderte sich im Licht der Herdfeuer, die die Gasse vor meiner Tür erhellten, verschwand aber nicht ganz. Hinter ihm entdeckte ich eine Bewegung und vertrautes Kinderlachen.

    „Joël!“
    „Hier bin ich, Maman“, rief er und kam gelaufen. Mein ungebetener Gast sah zu, wie ich dem Jungen durchs Haar strich und ihn schalt. „Was habe ich dir gesagt, Joël? Du sollst dich vor Fremden in Acht nehmen, weißt du noch? Nun geh rasch nach Hause!“
    „Ach, Maman“, beschwerte er sich und leckte sich die Finger. „Er hat mir doch bloß getrocknete Früchte gegeben.“ Vergnügt lief er davon.
    „Ich entschuldige mich, Ihr Mündel bestochen zu haben“, erklärte sich der Fremde. Sein Französisch klang beinahe makellos. „Sein Wunsch war schwer zu übersehen, und der meine duldete keinen Aufschub. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass kleine Geschenke die Konversation erleichtern.“
    „Er ist nicht mein Mündel. Wir kennen uns nur eine Weile, und wenn er mich Maman nennt, ist das eine Ehre für mich. Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“
    „Mein Name“, sagte der Fremde, „ist Sigerson, und ich brauche Ihren Rat.“
    „Kommen Sie wieder, wenn Sie zu lügen aufgehört haben“, sagte ich, drehte mich um und wollte wieder hineingehen.
    „Es stimmt also, was man über Sie sagt“, rief der Fremde.
    Abrupt hielt ich in dem Türrahmen inne und verfluchte im selben Moment meine Eitelkeit.
    „Was sagt man denn über mich?“
    „Dass Sie die einzige Weiße in Carrefour sind, der man trauen kann.“
    Verdattert schaute ich drein. „Wer immer das gesagt hat, wusste nicht recht, wovon er redet.“
    „Ich bitte Sie, Miss Aretakis. Die Kunst der Verstellung wird einem rasch zur Gewohnheit – niemand weiß das besser als ich. Bitte verzeihen Sie meine schlechte Manieren. Mein wahrer Name ist Sherlock Holmes – und ich würde mich sehr gerne mit Ihnen unterhal-ten. Es geht um eine Sache von äußerster Dringlichkeit, und, wie ich glaube, auch um Sie, und Ihre Familie.“
    Ich spürte, wie der Geist meiner Mutter an einem fernen Ort den Kopf über mich schüttelte und wusste, ich hätte dem Fremden in diesem Moment den Laufpass geben sollen. „Nicht hier“, stellte ich klar, schnappte mir ein Tuch und warf es mir um die Schultern. Dann schloss ich die Tür hinter mir und trat neben ihn. „Nehmen Sie’s nicht persönlich, aber ich will nicht mit Ihnen gesehen werden.“
    „Keinesfalls“, sagte Holmes, ohne verletzt zu wirken. „Haben Sie einen Vorschlag?“
    „Es gibt da ein Gasthaus“, sagte ich. „Am Rand des Viertels. Es kommen gelegentlich Europäer vom Hafen dorthin, also werden wir nicht weiter auffallen. Kommen Sie.“
    Schnellen Schrittes ging ich die Straße hinab, und als ich die

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