Sherlock Holmes - gesammelte Werke
bestimmen lassen. Allein es war jetzt nichts mehr an der Sache zu ändern; so schloss ich denn den Schmuck in meinen eigenen Sicherheitsschrank ein und ging wieder an mein Geschäft. Als es Abend wurde, dachte ich, dass es eine Unvorsichtigkeit wäre, einen derartigen Wertgegenstand im Büro zu lassen. Diebessichere Schränke bei Banken waren schon öfters erbrochen worden, warum sollte das nicht auch bei dem meinigen denkbar sein? Welch grässliche Lage für mich, wenn so etwas vorkäme! Ich beschloss deshalb, während der nächsten Tage das Etui auf Schritt und Tritt bei mir zu tragen und es so tatsächlich keinen Augenblick aus meiner Nähe kommen zu lassen. Mit diesem Vorsatz fuhr ich zu meinem Haus in Streatam und nahm das Schmuckstück mit. Erst als ich dasselbe in meinen Schreibtisch oben in meinem Ankleidezimmer eingeschlossen hatte, atmete ich wieder frei.
Und nun ein Wort über mein Hauswesen, Mr Holmes, denn ich möchte Ihnen einen gründlichen Einblick in die Sachlage verschaffen. Der Stallbursche und der Hausbursche schlafen außerhalb des Hauses und können somit außer Betracht bleiben. Meine drei Dienstmädchen sind sämtlich schon seit einer Reihe von Jahren bei mir, und ihre Zuverlässigkeit ist über jeden Zweifel erhaben. Dann ist noch ein zweites Kammermädchen da, namens Lucy Parr, das erst seit wenigen Monaten in meinem Dienst steht. Sie brachte jedoch ein vortreffliches Zeugnis mit, und ich war stets zufrieden mit ihr. Sie ist eine sehr hübsche Person und hat dadurch schon Verehrer angezogen, die sich gelegentlich wohl einmal um das Haus herumtrieben. Das ist das einzige, was wir an ihr auszusetzen fanden, allein wir halten sie für ein durchaus braves Mädchen.
So viel von den Dienstboten. Meine Familie ist so klein, dass dieselbe bald beschrieben ist. Ich bin Witwer und habe einen einzigen Sohn namens Arthur. Er hat mich in meinen Hoffnungen getäuscht, Mr Holmes, schmerzlich getäuscht! Gewiss bin ich selbst dabei nicht ohne Schuld. Man sagt, ich habe ihn verzogen. Das mag wohl sein. Als ich mein Weib verlor, übertrug ich meine ganze Zärtlichkeit auf ihn. Ich konnte es nicht ertragen, wenn die Heiterkeit einen Augenblick aus seinen Zügen wich. Ich habe ihm nie einen Wunsch abgeschlagen. Vielleicht wäre es für uns beide besser gewesen, ich hätte mehr Strenge gezeigt, aber ich meinte es herzlich gut.
Ich hatte natürlich vor, ihn zu meinem Nachfolger im Geschäft heranzubilden, allein er zeigte gar keine Neigung für den Kaufmannsstand. Er war unbeständig und launisch, und, um die Wahrheit zu gestehen, ich hätte ihm nicht die Verfügung über eine größere Geldsumme anvertrauen mögen. Schon in früher Jugend trat er in einen vornehmen Klub ein, wo er sich durch sein liebenswürdiges Wesen mit einer Reihe von Leuten, die volle Börsen und kostspielige Gewohnheiten hatten, eng befreundete. Er verstand es bald meisterhaft, sein Geld im Kartenspiel und auf dem Rennplatz zu vergeuden, sodass er mich immer wieder um Vorschuss auf sein Taschengeld angehen musste, um seine Ehrenschulden begleichen zu können. Mehr als einmal versuchte er, sich von dieser gefährlichen Gesellschaft loszumachen, allein dem Einfluss seines Freundes Sir George Burnwell gelang es jedesmal, ihn wieder in den Kreis hineinzuziehen.
Dass ein Mann wie Sir George Burnwell Einfluss auf ihn gewonnen hatte, war wirklich nicht zu verwundern; er hat ihn öfters zu mir ins Haus gebracht, und ich muss gestehen, dass ich selbst kaum imstande war, mich dem Zauber seines Wesens zu entziehen. Er ist älter als Arthur, ein vollendeter Weltmann, der überall schon gewesen ist und alles gesehen hat, ein glänzender Redner und ein auffallend schöner Mann. Und doch, wenn ich ihn mir bei kaltem Blut und völlig frei von der berückenden Wirkung seiner Gegenwart vorstelle, so kann ich bei seinen zynischen Reden und dem Blick, den ich gelegentlich in seinem Auge bemerkt habe, nicht umhin, zu glauben, dass er eine Persönlichkeit ist, die gründliches Misstrauen verdient. Darin ist auch meine kleine Mary, die den echt weiblichen Scharfblick für Menschenherzen besitzt, mit mir einverstanden.
Sie ist meine Nichte, die einzige Person, die ich nun noch zu schildern habe. Als mein Bruder vor fünf Jahren starb und sie allein in der Welt dastand, nahm ich sie an Kindesstatt an und betrachtete sie seitdem als meine Tochter. Sie ist ein Sonnenstrahl für mein Haus, freundlich, liebevoll, schön; sie steht der Wirtschaft vortrefflich vor
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