Sherlock Holmes - gesammelte Werke
hörte bereits auf, ehe ich völlig wach war; aber ich hatte davon den Eindruck behalten, als wäre irgendwo im Haus ein Fenster zugemacht worden. Voll Spannung horchend lag ich da. Plötzlich vernahm ich zu meinem Entsetzen ganz deutlich leise Tritte im Nebenzimmer. Bebend vor Angst, schlüpfte ich aus dem Bett und spähte am Türrand vorbei in das andere Zimmer hinaus.
›Arthur‹, rief ich, ›du Elender, du Dieb! Wie kannst du dich unterstehen, dich an dem Schmuck zu vergreifen?‹
Das Gas war noch halb abgedreht, wie ich es gelassen hatte, und mein unseliger Junge, nur mit Hemd und Hosen bekleidet, stand neben der Flamme, das Schmuckstück in der Hand. Es sah aus, als ziehe oder biege er daran mit aller Kraft. Auf meinen Zuruf ließ er es fallen und wurde blass wie der Tod. Ich hob es auf und besichtigte es. Eine von den goldenen Ecken, welche drei Berylle enthielt, fehlte.
›Bube‹, schrie ich, außer mir vor Wut, ›du hast es zerbrochen, du hast mich in ewige Schande gestürzt! Wo sind die Steine, die du gestohlen hast?‹
›Gestohlen!‹, rief er dagegen.
›Jawohl, du Dieb!‹, schrie ich wieder und schüttelte ihn dabei an der Schulter.
›Es fehlt keiner. Es kann keiner fehlen‹, entgegnete er.
›Es fehlen drei. Und du weißt wohl, wo sie sind. Ist es nicht genug, dass du ein Dieb bist, muss ich dich auch noch einen Lügner heißen? Habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie du noch ein Stück davon abbrechen wolltest?‹
›Du hast mich genug beschimpft‹, versetzte er, ›ich lasse mir das nicht länger gefallen. Kein Wort kommt in dieser Angelegenheit mehr über meine Lippen, nachdem du mich ohne Weiteres wie einen Ehrlosen behandelt hast. Morgen früh verlasse ich dein Haus und schlage mich allein weiter durch die Welt.‹
›Die Polizei wird die Sache in die Hand nehmen‹, rief ich, halb wahnsinnig vor Kummer und Wut. ›Es soll ganz gründlich untersucht werden!‹
›Von mir werdet ihr nichts erfahren!‹, erwiderte er mit einer Leidenschaftlichkeit, die ich gar nicht in ihm gesucht hätte. ›Beliebt es dir, die Polizei zu rufen, so mag sie auch sehen, wie sie fertig wird.‹
Inzwischen war alles im Haus wach geworden, denn ich hatte im Zorn die Stimme laut erhoben. Mary kam zuerst zu mir hereingeeilt. Beim ersten Blick auf den Schmuck und auf Arthurs Gesicht erriet sie alles und stürzte mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden. Ich schickte das Hausmädchen auf die Polizei, um dieser die weiteren Nachforschungen ohne Verzug zu übergeben. Als der Inspektor mit einem Schutzmann eintraf, richtete Arthur, der die ganze Zeit über mit gekreuzten Armen finster dagestanden, die Frage an mich, ob ich wirklich gesonnen sei, ihn des Diebstahls zu bezichtigen. Ich erklärte ihm, dass die Sache keine Privatangelegenheit mehr, sondern ein öffentliches Vergehen sei, da das beschädigte Schmuckstück zum Nationaleigentum gehöre. Ich sei entschlossen, dem Gesetz seinen vollen Lauf zu lassen. ›Dann wirst du doch wenigstens nicht auf einer unverzüglichen Festnehmung bestehen‹, sagte er jetzt. ›Es wäre ebenso sehr in deinem Interesse wie in meinem eigenen, wenn ich das Haus auf fünf Minuten verlassen dürfte.‹
›Um zu entfliehen oder vielleicht um deinen Raub zu verstecken‹, erwiderte ich. Hierauf stellte ich ihm die schreckliche Lage vor, in die ich mich versetzt sehe; ich flehte ihn an, doch zu bedenken, wie nicht nur meine Ehre, sondern auch die einer viel höheren Persönlichkeit auf dem Spiel stehe und dass er einen Skandal heraufbeschwöre, der die ganze Nation in Aufregung versetzen würde. Das alles ließe sich aber noch abwenden, wenn er mir nur sagen wollte, was er mit den drei fehlenden Steinen angefangen habe.
›Du bist auf frischer Tat ertappt worden‹, fuhr ich fort, ›mach die Sache wenigstens so weit wieder gut, wie es in deiner Macht steht; sag mir, wo die Steine sind, und alles soll vergeben und vergessen sein.‹
›Behalte deine Vergebung für Leute, die dich darum bitten‹, gab er zur Antwort und kehrte mir höhnisch den Rücken. Ich sah, dass sein Trotz ihn für alles Zureden taub machte. Nun gab es keine andere Wahl mehr. Ich rief den Inspektor herein und ließ Arthur verhaften. Unverzüglich wurde eine Durchsuchung vorgenommen, nicht allein an seiner Person, sondern auch in seinem Zimmer und überall sonst im Haus, wo er möglicherweise die Steine versteckt haben konnte. Allein es fand sich keine Spur davon, und aus dem nichtsnutzigen Burschen war
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