Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
anzuschauen.
    ›Sie wollen sich nach einer Stelle umsehen, Miss?‹, redete er mich an.
    ›Jawohl.‹
    ›Als Gouvernante?‹
    ›Ja.‹
    ›Und welches sind Ihre Gehaltsansprüche?‹
    ›In meiner letzten Stelle, bei Oberst Munro, hatte ich vier Pfund monatlich.‹
    ›Oh, ho, ho! Eine wahrhaft hundemäßige Bezahlung!‹, rief er, mit seinen fetten Händen in der Luft herumfahrend, als befände er sich in höchster Aufregung. ›Wie kann man nur einer Dame von so hervorragenden Eigenschaften und Leistungen eine so erbärmliche Summe bieten!‹
    ›Meine Leistungen sind doch vielleicht nicht so bedeutend, als Sie glauben‹, bemerkte ich. ›Etwas Französisch, etwas Deutsch, Musik und Zeichnen.‹
    ›Ah, pah, pah‹, rief er, ›das kommt alles nicht infrage. Ob Sie Erscheinung und Benehmen einer Dame von Stand haben oder nicht, darauf allein kommt es an. Ist dies nicht der Fall, so eignen Sie sich nicht zur Erziehung eines Kindes, dem eines Tages vielleicht eine wichtige Rolle in der Geschichte des Landes zufallen wird. Trifft es aber zu, wie konnte Ihnen dann ein anständiger Mann zumuten, sich mit weniger als hundert Pfund zu begnügen? Bei mir würde Ihr Gehalt mit diesem Betrag beginnen.‹
    Sie können sich vorstellen, Mr Holmes, dass mir in meiner bedrängten Lage dies Angebot so verlockend erschien, dass ich kaum meinen Ohren traute. Der Herr jedoch, der vielleicht den ungläubigen Ausdruck auf meinem Gesicht bemerkte, nahm nun eine Banknote aus seiner Brieftasche.
    ›Es ist außerdem meine Gewohnheit‹, fuhr er fort und verzog dabei sein Gesicht zu einem so liebenswürdigen Lächeln, dass seine Augen nur noch wie zwei glänzende Streifen zwischen den sie umgebenden Falten hervorblitzten, ›meinen jungen Damen die Hälfte ihres Gehaltes im Voraus auszuhändigen, damit ihnen die kleinen Auslagen für die Reise und für ihre Garderobe nicht schwer fallen.‹
    Eine derartige Liebenswürdigkeit und Rücksicht war mir, soweit ich mich erinnern konnte, in meinem ganzen Leben noch bei keinem Herrn vorgekommen. Da ich bereits Schulden bei meinen Lieferanten hatte, so kam mir der Vorschuss sehr gelegen; aber trotzdem lag etwas Unnatürliches in dem ganzen Handel, das in mir den Wunsch erweckte, noch einiges Nähere zu erfahren, ehe ich mich völlig band.
    ›Darf ich fragen, wo Sie wohnen?‹, fragte ich.
    ›Hampshire – Copper Beeches; reizender Landsitz fünf Meilen hinter Winchester. Sie können sich keine anmutigere Gegend, keine heimlichere Behausung denken, mein liebes Fräulein.‹
    ›Und meine Obliegenheiten? Darüber möchte ich doch auch gerne etwas erfahren.‹
    ›Ein einziges Kind, ein kleiner, lieber Bengel von genau sechs Jahren. Wenn Sie sehen könnten, wie er Schaben und andere Käfer mit dem Pantoffel totschlägt! Klatsch, klatsch! geht es, und im Nu sind sie kaputt.‹ Dabei lehnte er sich in den Stuhl zurück und lachte wieder, dass seine Augen völlig verschwanden.
    Ich war nicht wenig verdutzt über den eigentümlichen Zeitvertreib des Kindes, allein da dessen Vater so darüber lachte, dachte ich, er mache vielleicht Scherz.
    ›Meine einzige Obliegenheit wäre also‹, fragte ich weiter, ›für das eine Kind zu sorgen?‹
    ›Nein, nein, das ist nicht alles!‹, rief er. ›Sie wären außerdem verpflichtet, was Sie ja gewiss als selbstverständlich betrachten würden, den Weisungen vonseiten meiner Frau nachzukommen, vorausgesetzt, dass deren Befolgung für eine gebildete Dame keinerlei Anstoß böte. Dagegen haben Sie doch kein Bedenken, wie?‹
    ›Es wird mir ein Vergnügen sein, mich nützlich machen zu können.‹
    ›Nun, ja, zum Beispiel was die Kleidung betrifft. Wir sind wunderliche Leute, wissen Sie – wunderlich, aber gutmütig, Falls wir von Ihnen verlangten, ein Kleid von uns anzuziehen, würden Sie keinen Einwand gegen diesen kleinen Wunsch erheben, nicht wahr?‹
    ›Nein‹, erwiderte ich, ziemlich erstaunt über diese Äußerung.
    ›Oder sich dahin und dorthin zu setzen – daran würden Sie doch keinen Anstoß nehmen?‹
    ›Oh nein.‹
    ›Oder vor Ihrem Eintritt bei uns Ihr Haar ganz kurz abzuschneiden?‹
    Ich traute meinen Ohren kaum. Wie Sie vielleicht bemerken, Mr Holmes, ist mein Haar ziemlich üppig und hat eine ganz besondere kastanienbraune Färbung, die schon von künstlerischer Seite Beachtung gefunden hat. Es fiel mir deshalb nicht ein, es so kurzerhand einfach zu opfern.
    ›Ich bedaure, aber das geht schlechterdings nicht‹, erwiderte ich. Er

Weitere Kostenlose Bücher