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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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entdeckte seine deutlichen Fußspuren an fünf verschiedenen Stellen: einmal auf der Landstraße, an dem Punkt, wo er über die niedrige Mauer gestiegen war, zweimal auf dem Rasen und zwei ganz schwache Spuren auf den angestrichenen Brettern beim Fenster, durch das er hereingekommen sein musste. Über den Rasenplatz war er rasch gelaufen, denn seine Stiefelspitzen hatten sich viel tiefer abgedrückt als die Absätze. Doch verwunderte ich mich nicht so sehr über den Mann selbst als über seinen Gefährten.«
    »Seinen Gefährten!«
    Holmes zog einen großen Bogen Seidenpapier aus der Tasche und breitete ihn vorsichtig über sein Knie.
    »Wofür hältst du das?«, fragte er.
    Das Papier war mit Abdrücken der Fußspuren eines kleinen Tieres bedeckt. Man unterschied deutlich einen fünfteiligen Ballen und das Vorhandensein langer Nägel; jeder einzelne Umriss war etwa so groß wie ein Dessertlöffel.
    »Es ist ein Hund«, sagte ich.
    »Haben Sie je gehört, dass ein Hund an einem Vorhang hinaufgelaufen ist? Das Tier hat es getan, wie seine Spuren beweisen.«
    »Also ein Affe?«
    »Der hat keinen solchen Fuß.«
    »Aber was kann es sein?«
    »Weder Hund noch Katze, noch Affe – überhaupt kein Geschöpf, das wir kennen. Ich habe versucht, es mir nach den Maßen vorzustellen. Hier sind vier Abdrücke – das Tier hat still gestanden. Es misst vom Vorderfuß bis zum Hinterfuß nicht weniger als fünfzehn Zoll. Fügt man noch den Hals und den Kopf hinzu, erhält man ein Geschöpf von mindestens zwei Fuß Länge, vielleicht auch mehr, falls es einen Schwanz hat. Nun betrachten Sie einmal die anderen Maße: das Tier hat sich bewegt, und wir erkennen seine Schrittweite; nirgends beträgt sie über drei Zoll. Das lässt auf einen sehr langen Leib mit unverhältnismäßig kurzen Beinen schließen. Leider ist es nicht so freundlich gewesen, uns eine Probe seines Haars zurückzulassen. Aber von Gestalt wird es ungefähr so beschaffen sein, wie ich Ihnen sage, und es ist ein fleischfressendes Tier.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil es am Vorhang in die Höhe gelaufen ist. Ein Kanarienvogel hing im Bauer am Fenster; offenbar wollte es dem zu Leibe gehen.«
    »Was für ein Tier war es denn aber?«
    »Ja, wenn ich seinen Namen wüsste, wäre schon ein großer Schritt geschehen, um den Fall aufzuklären. Wahrscheinlich gehört es doch zur Familie der Wiesel; nur ist es größer als alle Tiere dieser Gattung, welche ich gesehen habe.«
    »In welcher Beziehung aber soll das Tier zu dem Verbrechen stehen?«
    »Das ist auch noch unaufgeklärt. Jedenfalls haben wir schon viel herausgebracht, wie Sie sehen. Wir wissen, dass ein Mann von der Landstraße aus dem Streit zwischen Oberst Barclay und seiner Frau zugesehen hat – die Läden waren nicht geschlossen, und die Lampe brannte im Zimmer. Ferner wissen wir, dass er, von einem fremdartigen Tier begleitet, über den Rasenplatz gelaufen und durch das Fenster gestiegen ist und dass er Barclay zu Boden gestreckt hat, falls der Oberst nicht bei seinem bloßen Anblick vor Schrecken umgefallen ist und sich an der Ecke des Kamingitters ein Loch in den Hinterkopf geschlagen hat, was ebenso wahrscheinlich ist. Und schließlich hat der Eindringling merkwürdigerweise beim Fortgehen den Zimmerschlüssel mitgenommen.«
    »Nach Ihren Ermittlungen kommt mir die Sache noch weit dunkler vor als zuerst«, sagte ich.
    »Sehr richtig. Das beweist ohne Zweifel, dass die Angelegenheit viel verwickelter ist, als man anfänglich glaubte. Ich beschloss daher nach reiflicher Überlegung, den Fall einmal aus einem ganz anderen Gesichtspunkt zu betrachten. – Aber ich habe Sie wirklich schon allzu lange Ihrer Nachtruhe beraubt, Watson; ich kann Ihnen das ja geradeso gut morgen auf der Fahrt nach Aldershot erzählen.«
    »Bewahre! Nun, da Sie so weit mit Ihrem Bericht gekommen sind, dürfen Sie nicht mittendrin aufhören.«
    »So viel stand fest, dass Mrs Barclay im besten Einvernehmen mit ihrem Gatten war, als sie um halb acht Uhr das Haus verließ. Zwar pflegte sie nie besonders zärtlich zu sein, wie ich schon erwähnte, aber der Kutscher hatte gehört, dass sie dem Oberst mit freundlichen Worten Lebewohl sagte. Ebenso gewiss war aber auch, dass sie sich bei ihrer Rückkehr sofort in ein Zimmer begab, wo sie sicher war, ihren Gatten nicht zu treffen, dass sie sich eine Tasse Tee bestellte – eine bei Frauen beliebte Nervenberuhigung – und dass sie ihrem Mann, sobald er eintrat, die heftigsten Vorwürfe zu

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