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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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machen begann. Zwischen halb acht und neun Uhr war also offenbar etwas geschehen, wodurch ihre Gefühle für ihn sich völlig umgewandelt hatten.
    Da nun Miss Morrison während dieser anderthalb Stunden fortwährend mit Mrs Barclay zusammen gewesen war, musste sie durchaus etwas von der Sache wissen, und wenn sie es zehnmal leugnete.
    Meine erste Vermutung war, es werde sich zwischen dem alten Barclay und der jungen Morrison etwas eingefädelt haben, was diese der Frau Oberst unterwegs eingestanden hätte. Dadurch ließe sich ihr Zorn bei der Rückkehr erklären sowie die Behauptung des Fräuleins, dass nichts vorgefallen sei. Aber andererseits sprach wieder die Anspielung auf David dagegen sowie die zärtliche Liebe, die der Oberst, wie allbekannt, für seine Frau hegte; von dem Auftreten jenes anderen Mannes ganz zu schweigen, der brauchte ja zu allem Vorhergegangenen in keinerlei Beziehung zu stehen. – Es wurde mir schwer, irgendwo festen Fuß zu fassen, doch gab ich den Gedanken an ein geheimes Einverständnis zwischen dem Oberst und Miss Morrison schließlich auf, bestärkte mich aber umso mehr in der Überzeugung, dass die junge Dame Auskunft darüber geben könne, aus welchem Grund Mrs Barclays Gefühle für ihren Gatten sich plötzlich in Hass verwandelt hätten. So beschloss ich denn, Miss Morrison aufzusuchen, um ihr zu erklären, ich sei zu der Gewissheit gelangt, dass sie Licht in die Sache zu bringen vermöchte. Falls sie ihre Aussage verweigere, würde ihre Freundin, als des Mordes angeklagt, vor Gericht erscheinen müssen.
    Das Fräulein ist ein zartes, schlankes Wesen mit blondem Haar und schüchterner Miene, doch fehlt es ihr weder an Scharfsinn noch an gesundem Menschenverstand. Sie sah eine Weile schweigend und nachdenklich vor sich hin, aber plötzlich hob sie den Blick, schaute mich fest an und erstattete ihren merkwürdigen Bericht, den ich Ihnen so kurz wie möglich mitteilen will.
    ›Meine Freundin hat mir das Versprechen abgenommen, die Sache geheim zu halten, und ich pflege mein gegebenes Wort nicht zu brechen‹, sagte sie. ›Aber da eine so schwere Anklage gegen Mrs Barclay vorliegt und sie selbst durch ihre Krankheit gehindert ist, Zeugnis abzulegen, fühle ich mich von dem Versprechen entbunden. Ich will ihr helfen, so gut ich kann, und Ihnen alles, was am Montagabend geschehen ist, ausführlich erzählen.
    Wir verließen die Missionssitzung etwa um drei Viertel neun und mussten auf dem Heimweg durch die Hudson Street gehen, die sehr still und menschenleer ist. Auf der linken Seite brannte eine einzige Laterne; als wir in deren Nähe waren, kam uns ein Mann entgegen, der ganz verkrüppelt aussah. Der Kopf steckte ihm tief in den Schultern, er ging mit gebeugten Knien und gekrümmtem Rücken und trug eine Art Kasten an einem Band über der Achsel. Während wir an ihm vorüberschritten, sah er in die Höhe, der Lichtschein fiel auf uns, er blieb stehen und schrie mit furchtbarer Stimme: ›Mein Gott, es ist Nancy!‹ Mrs Barclay wurde bleich wie der Tod und wäre zu Boden gefallen, hätte sie der schreckliche Krüppel nicht festgehalten. Ich wollte eben nach der Polizei rufen, als ich sie zu meiner Verwunderung ganz höflich mit dem Menschen sprechen hörte.
    ›Ich hielt dich schon seit dreißig Jahren für tot, Henry‹, sagte sie mit bebender Stimme.
    ›Das bin ich auch‹, entgegnete er, und mich überlief es kalt bei dem grauenhaften Ton seiner Stimme. Sein Gesicht war finster und abschreckend, und der grimmige Blick seiner Augen verfolgt mich noch im Traum. Haar und Bart waren stark mit Grau vermischt und seine welke, faltige Haut ganz zusammengeschrumpft.
    ›Bitte gehe ein wenig voraus‹, sagte Mrs Barclay zu mir, ›ich möchte ein Wort mit diesem Mann reden. Fürchte nichts für mich.‹ – Wie sehr sie sich aber auch bemühte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, so bebten ihr doch die Lippen, und sie sah leichenblass aus.
    Ich tat, was sie verlangte, und die beiden sprachen ein paar Minuten miteinander. Dann kam Mrs Barclay mit zornsprühenden Blicken die Straße herunter, und ich sah den Krüppel am Laternenpfahl stehen, wo er, wie rasend vor Wut, die geballten Fäuste schüttelte. Sie sprach kein Wort, bis wir vor unserer Haustür standen, dann fasste sie mich bei der Hand und bat mich, niemandem etwas von der Begegnung zu sagen. ›Es ist ein früherer Bekannter von mir, der in der Welt heruntergekommen ist‹, sagte sie. Als ich ihr Stillschweigen gelobte, küsste sie

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