Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)
musste.
»Also sofortige Behandlung. Beginn am besten heute noch, oder ich werde mein Schweigen brechen«, gab sich Holmes unnachgiebig.
»Ich weiß nicht. Ich dachte schon daran, aus dem Leben zu scheiden. Das wäre wohl das Beste in meiner Lage.«
»Ich sehe keinen Grund dafür«, meinte Holmes betont kühl. »Doktor Watson hilft Ihnen, und Sie können Ihr geachtetes Leben in unserer Gesellschaft weiterführen. Dass Sie in nächster Zeit allzu enger Kontakte zu wem auch immer entsagen müssen, ist wohl selbstverständlich.«
»Ich sagte schon, dass der Grund für meine Unvorsichtigkeit Einsamkeit war. Durch meine Andersartigkeit in diesem Land bin ich so isoliert, dass ich ...« Verhaltene Tränen glänzten in den dunklen Augen des Inders.
»Und das ist gut so, bis Sie gesund sind. Dann steht Ihnen die Welt wieder offen, in jeder Hinsicht. Dieser Arzt hat seine Praxis in der Park Lane. Doktor John Watson. Er bewahrt auch mir gegenüber Schweigen über seine Patienten. Ich werde ihn aber immer wieder fragen, ob Sie sich tatsächlich behandeln lassen. Und so lange Sie das tun, werde ich über dieses Gespräch kein Wort verlieren.«
Holmes kam auch in der Baker Street nicht zur Ruhe. Was, wenn das Gerücht, das Moriarty über die Nähe der Queen zu ihrem indischen Diener in die Welt gesetzt hatte, tatsächlich zutraf? Auch die königliche Witwe war einsam, dann wäre auch sie in Gefahr und damit das Land. Er musste einen Weg finden! Sein Bruder musste eine Möglichkeit finden, die Königin auf diskrete Weise zu warnen. Am besten über einen ihrer Ärzte.
Sherlock Holmes suchte seinen Bruder am Abend in seinem Privathaus auf. Whitehall war ein zu öffentlicher Ort für sein delikates Anliegen.
Mycrofts Butler Evans führte ihn in den holzgetäfelten Salon, in dem Holmes' Bruder bei seiner Pfeife und einem Glas Whisky Entspannung suchte.
Entspannung wovon? , fragte sich der Detektiv. Er hatte seinen Bruder nie angespannt gesehen. Mycroft war immer der stille Beobachter gewesen, der andere handeln ließ, oft vor sich hin lächelnd, mit einem Aufblitzen seiner intelligenten grauen Augen, wenn ihn etwas freute oder überraschte.
»Einen Drink, Sir?«, fragte Evans.
Sherlock Holmes verneinte. Das ernste Thema vertrug keinen Alkohol.
»Dich führt dein Treffen mit dem Inder zu mir«, stellte Mycroft fest und blies Rauch gegen die Holzdecke.
Holmes fühlte sich bei diesem Treffen noch unbehaglicher als im Diogenes Club . Sein Bruder genoss es, in der stärkeren Position zu sein, und er ließ Sherlock seine geballte Arroganz spüren, dennoch gab es keine Alternative. Die Angelegenheit duldete keine persönlichen Animositäten, und vielleicht gelang es ihm, wie so oft, den Spieß umzudrehen und am Ende des Gesprächs das Haus als Sieger eines fairen Zweikampfes zu verlassen.
»Er leidet an Syphilis«, stellte Holmes fest.
»Ich weiß.«
»Und du hast es nicht für nötig befunden, dafür zu sorgen, dass er sich behandeln lässt und dass die Personen, die ihn umgeben, gewarnt werden?«, fragte der Detektiv mit bewusst gedämpfter Stimme.
»Nein. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Eine Königin, die so unvorsichtig wäre, über alle Grenzen des Anstandes, über gesellschaftliche und kulturelle Gräben hinweg einem Diener zu nahezukommen, wäre keine gute Monarchin für unser Land.«
»Ich verstehe. Du lässt den Dingen ihren Lauf.«
»Im Wissen, dass die Königin ihres Amtes würdig ist, dass sie nicht einmal auf den Gedanken käme ...«
»Trotzdem«, unterbrach ihn sein Bruder, »ersuche ich dich dringend, sie durch einen Arzt ihres Vertrauens warnen und vielleicht auch untersuchen zu lassen.«
»Dein Fehler, Sherlock, war es immer schon, zu hektisch zu sein, und das verstärkt sich durch deinen unglückseligen Hang zu aufputschenden Substanzen.«
»Das ist nicht das Thema, Mycroft, lenk nicht ab.«
»Ich meine, dass du dich nicht auf diese aufreibende Weise engagieren musst. Die Dinge nehmen ihren Lauf, man beobachtet sie, zieht Schlüsse.«
»Das ist mir zu wenig. Ich will die Welt gestalten.«
»Das ist eine Illusion.«
»Wir haben dieses Thema zur Genüge abgehandelt. Ich wiederhole: Es ist wichtig, dass sich ein Arzt um das Wohl der Königin kümmert.«
»Moriarty rechnet damit, er hat es schon einmal versucht und einen der Ärzte der Queen in Elend und Armut gestürzt.«
»Das ist eine Behauptung ...«
»Die du glauben kannst oder nicht. Das steht dir frei. Ich sage nur: Sir William
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