Sherlock Holmes und die Theatermorde
Sie, daß wir Sie in Geschäften unterbrechen.«
»Ich habe fast den ganzen Morgen mit der Polizei verbracht«, teilte Sullivan uns trübsinnig mit, während er uns die Hände schüttelte. »Ich wüßte nicht, was ich Ihnen noch sagen könnte, da ich der Polizei alles mitgeteilt habe. Darf ich fragen, in wessen Auftrag Sie zu mir gekommen sind?«
Plötzlich rang er nach Atem, erblaßte und hielt sich krampfhaft die Seite. Irving fing ihn liebevoll auf, als er stolperte, und ließ ihn sanft in einen Sessel gleiten. Sullivan dankte dem Schauspieler im Flüsterton, und dieser wandte er sich Atem schöpfend um und wiederholte die Frage.
»Wir sind hier im Namen der Gerechtigkeit«, teilte ihm Holmes, den Schwächeanfall für den Augenblick ignorierend, mit. »Prosaischer ausgedrückt, wir wurden von Mr. Bernard Shaw aufgefordert, die Angelegenheit zu untersuchen.«
Die Reaktion der beiden Männer auf diese Mitteilung war verblüffend. Sullivan runzelte verständnislos die Stirn, während Irvings Züge sich umwölkten, was seine Gesamterscheinung noch düsterer erscheinen ließ. Er erhob sich abrupt.
»Shaw?« rief er aus, und seine Höflichkeit ließ ein wenig nach. Er schoß Ellen Terry einen Blick zu. »Nellie, hast du etwas damit zu tun?«
»Henry, mein Bester, ich gebe dir mein Wort, daß ich nichts davon weiß«, erwiderte Miss Terry ganz bestürzt. »Ich habe diese Herren eben erst im Foyer getroffen.«
Irving starrte unheilverkündend auf den langen Tisch. Als er zu gehen – oder vielmehr zu schlurfen – begann, fiel mir auf, wie stark er die rechte Schulter vorschob, und ich mußte über Miss Terrys Spitznamen lächeln.
»Ich warne dich, Nellie«, sagte er von der Tür her, »ich warne dich. Dieser entartete Mensch kommt mir nicht in dieses Theater!«
»Er ist kein entarteter Mensch, Henry. Was redest du da?« erwiderte sie energisch. Irving fuhr fort, als habe er nichts gehört.
»Er kommt mir nicht in dieses Theater, und seine widerwärtigen Stücke werden von mir nicht aufgeführt. Und sollte er noch mehr Gefasel über unsere Arbeit veröffentlichen, werde ich ihn persönlich verprügeln.«
»Henry«, protestierte sie, sah uns ängstlich an und lächelte nervös, »dies ist nicht der Ort und die Stunde –«
»Soll er mit Granville Barker im ›Court‹ bleiben, wo er hingehört«, murrte Irving, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. »Wo sie alle hingehören. Ich will weder ihn noch seine Stücke. Hast du das verstanden?« *
»Ja, Henry«, sagte sie demütig. »Komm nun, wir wollen die Herren alleine lassen.«
Das brachte den Schauspieler wieder zu sich, und er wandte sich mit einer erneuten Verbeugung zu uns um.
»Verzeihen Sie mir diesen Ausbruch, meine Herren. Ich weiß, ich lasse mich manchmal hinreißen. Unser englisches Theater wird binnen kurzem eine von zwei Richtungen einschlagen, und mir liegt sehr stark an einer von ihnen.«
Er sprach einfach und mit so ehrlicher Empfindung, daß wir, denen seine Ideen fremd waren, verlegen und wohl auch bewegt von dieser Zurschaustellung unverhohlener Emotionen die Köpfe neigten.
»Komm Henry.« Irving ließ sich von Miss Terry aus dem Zimmer führen, ein müder Titan im Schlepptau einer nicht mehr ganz jungen Dresdener Schäferin.
Wir waren allein mit dem Komponisten.
KAPITEL NEUN
Sullivan
»Kommen Sie wirklich von Bernard Shaw?« begann Sullivan gereizt, nachdem sich die Tür geschlossen hatte. »Warum mischt er sich da hinein? Der Mann ist ein unerträglicher Wichtigtuer und, von seinen musikalischen Kenntnissen abgesehen, in meinen Augen vollkommen wertlos.«
»Er hat uns nicht speziell Miss Rutlands wegen engagiert«, erwiderte Holmes, während er einen der großen Stühle heranzog, »sondern in Verbindung mit dem Mord an Jonathan McCarthy.«
Der Komponist, der sich in einem erneuten Krampf zu winden begann, drehte sich in seinem Sitz dem Detektiv zu.
»Erlauben Sie, aber das leuchtet mir noch weniger ein, denn die beiden konnten einander nicht ausstehen.«
»Eine beträchtliche Anzahl von Personen war gegen Jonathan McCarthy eingenommen, das steht fest.«
»Zugegeben. Shaw mag eine boshafte Zunge haben, aber er äußert sich stets zur Sache. McCarthy war ein Parasit, der Kunst und Künstler ausbeutete, das ist etwas anderes.« Er versuchte, sich zu erheben, rang wieder nach Luft und fiel vornübergebeugt in den Sessel, wobei er seine Seite umklammert hielt, als wolle er sie mit einem verzweifelten Ruck herausreißen. Sein
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