Sherry Thomas
doch nur noch daran, wie
sich diese Amerikanerin und Lady Blakeley um ihn
gestritten haben. Geprügelt haben sie sich wie zwei Fischweiber. Schließlich
haben sie dann herausgefunden, dass er auch noch eine Affäre mit Lady Fancot
hatte!«
»Aber ...«, murmelte Victoria.
»Aber ... diese Gerüchte sind doch bestimmt vollkommen übertrieben?«
Lady Somersby und Lady Avery sahen
einander an, als hätte Victoria gerade verkündet, dass der Prince of Wales ein
harmloser Klosterbruder war. »Meine liebe Mrs. Rowland«, erklärte Lady
Somersby und betonte dabei jede Silbe einzeln. »Das sind keine Gerüchte. Alles
hat sich genauso zugetragen, wie wir es Ihnen berichtet haben. Jedes Wort
davon könnte auch in der Bibel stehen. Wenn es hier um bloße Gerüchte ginge,
hätten wir Ihnen erzählt, was wir über die Affäre mit Lady Fancot gehört
haben.«
»Fesseln, Ketten, Peitschen und noch
manch anderes, von dem wir beide nicht einmal wissen, was es ist«, bestätigte
Lady Avery eifrig.
Victoria wurde leicht übel. Bestimmt
war Gigi ebenfalls kein harmloses kleines Geschöpf. Aber Fesseln, Ketten und
... all solche Sachen?
Dann erinnerte Victoria sich
plötzlich voller Entsetzen daran, dass sie dem Duke einen Abend am Spieltisch
versprochen hatte – sie beide ganz allein miteinander. Hatte er etwa
Hintergedanken gehabt, als er die Vereinbarung mit ihr traf, oder ging es ihm
wirklich nur um den zweifelhaften Nervenkitzel beim Setzen hoher Summen? Oder
würde er sie mit ihren eigenen Vorhangschleifen fesseln und dann ... dann was
eigentlich?
Sie wimmerte leise.
»Ganz recht.« Lady Avery nickte
selbstzufrieden. »Und wir wollen gar nicht erst davon reden, wie er Lady Wimpeys
Bett in Brand gesetzt hat.«
Kapitel 14
Januar 1883
Irgendwann in den Stunden nach Mitternacht
erwachte Gigi abrupt und schnappte nach Luft. Sie war schweißgebadet. Im Traum
war sie im Nachthemd hinter etwas Dunklem hergelaufen und hatte die ganze Zeit
geschrien: »Komm zurück! Komm zurück zu mir!«
Ob der Traum ein schlechtes Omen
war? Oder befreite sich ihr Gewissen endlich aus den Fesseln, mit denen sie es
drei Wochen lang in einem finsteren Kerker eingesperrt hatte, um sich nun halb
wahnsinnig an ihr zu rächen?
Sie berührte den Verlobungsring von
Camden. Er fühlte sich angenehm warm an, der darin eingefasste Saphir hingegen
war kühl wie Seide. Am Fußende des Betts schnarchte Krösus in seinem
ausgepolsterten Weidenkorb. Sie drehte sich auf der Matratze um, bis ihr Kopf
neben seinem lag. Dann nahm sie eine der Hundepfoten und fühlte sich gleich
etwas besser. Die Angst wurde schwächer.
Alles war gut. Sie wagte es wieder,
Luft zu holen. Wer brauchte schon ein Gewissen, wenn er so viel Glück besaß?
Das stimmte doch, oder etwa nicht?
Es war schlimmer als die Hölle.
Camden fühlte sich, als würde er
jeden Moment ertrinken. Die Zeremonie. Die nicht enden wollenden Gratulationen.
Das Hochzeitsfrühstück. Der rauchende Blitz, als der Fotograf den Augenblick für die
Nachwelt festhielt. Alles lachte. Alles freute sich unbändig. Er kam sich vor
wie ein Betrüger, ein noch schlimmerer Betrüger, als sie es war, falls das denn
überhaupt ging.
Ein paar Mal hätte er es fast nicht
durchgestanden. Die Menschen freuten sich so sehr für ihn. Für sie beide. Mrs.
Rowland hatte Tränen in den Augen. Claudia auch. Briarmeadow hatte sich in ein
Meer aus Tüll und Organza verwandelt. Alles war mit Narzissen und Tulpen
geschmückt, und es duftete wie am ersten Frühlingstag. Ihre Verbindung war die
eine große Ausnahme unter all den arrangierten Ehen, aus ihnen beiden sollte
ein glückliches liebendes Paar werden. Er konnte das Schauspiel kaum ertragen.
Schließlich war es Gigi, die ihn
davon abhielt, einen öffentlichen Skandal heraufzubeschwören: Wie sie strahlte
– wenn er sie so sah, tat es ihm weh. Jedes selbstsichere Lächeln von ihr war
wie ein kleiner Tod, jedes selige Lachen ein Stich in sein Herz.
Im Anschluss an den Empfang fuhren
sie in ein fünfzehn Minuten entfernt liegendes Haus in der Nähe von Bedford,
das ebenfalls den Rowlands gehörte, um dort die Hochzeitsnacht zu verbringen.
So saßen die beiden, einmal abgesehen von Krösus, allein miteinander in der
bedrückenden Enge der Kutsche. Glücklich und übersprudelnd vom Champagner,
plante Camdens Gemahlin den Überraschungsempfang, den sie für seine Freunde geben
würden.
Ihre Wohnung im Quartier Latin hatte
zehn Zimmer und Blick auf die Rue Mouffetard. Was er wohl
Weitere Kostenlose Bücher