Sherry Thomas
fünfzig
zuging, tatsächlich war sie sogar einige Jahre älter als er. Doch sie sah aus
wie Schneewittchen – wie ein erwachsenes Schneewittchen.
Verdammt noch einmal, sie war schön,
schöner als eine ganze Horde junger Mädchen, schöner noch, als sie selbst es
mit neunzehn gewesen war. Im Allgemeinen alterten hinreißende Frauen
bekanntlich schlechter als die weniger auffälligen – meist konnte man ihnen ansehen,
wie bitterlich sie den Verlust ihrer Jugend beklagten. Mrs. Rowland hingegen
bildete die Ausnahme von dieser Regel, denn sie strahlte eine Würde und Reife
aus, die ihr besser zu Gesicht standen als teurer Schmuck und Juwelen.
Sie räusperte sich. »Zu meinem
Vergnügen habe ich Ihre Cousinen kennengelernt und war mit den beiden im Theater. Lady Avery und Lady
Somersby. Sie waren so
freundlich, mich in ihre Loge zu bitten.«
Es dauerte einen Augenblick, bis
Langford begriff, was das bedeutete. Caro und Grace hatten viele Bekannte – die
dann entweder in den Genuss kamen, den neusten Klatsch von den beiden zu hören
oder ihnen selbst Futter zu liefern. Dann jedoch ging ihm endlich ein Licht
auf. Mrs. Rowland war nicht bewusst gewesen, was für ein Leben er geführt
hatte, bevor er sich zu einem menschenscheuen, fast zölibatären Gelehrten
gewandelt hatte.
Was mochten seine Cousinen zum
Besten gegeben haben? Wahrscheinlich das Damenringen, den Brand und den Abend,
an dem er die gesamte Belegschaft von Madam Mignonne bezahlt hatte. Das waren
zwar längst nicht seine schlimmsten Sünden im Register, allerdings wohl die
bekanntesten. Und angesichts dieser Offenbarungen hatte die tugendhafte,
wenngleich gewitzte Mrs. Rowland beschlossen, vorübergehend auf ihre bewundernde
Miene und den Schmelz in der Stimme zu verzichten.
Also wirklich! Dachte sie denn allen
Ernstes, dass ein paar offene Fenster und mehrere Lagen schwarzer Crêpe ihn
davon abhalten könnten, ruchlose Annährungsversuche zu unternehmen?
Ausgerechnet ihn, der in seinen besten Zeiten so manchen Witwenrock gelüftet
hatte? Und das durchaus auch vor offen stehenden Fenstern?
Nicht, dass er bei Mrs. Rowland
etwas Derartiges vorgehabt hätte. Vor zwanzig Jahren, ja, da wäre das anders
gewesen. Aber heute war er nicht mehr derselbe. Die Zeit hatte ihn gezähmt.
Meistens jedenfalls.
»Bestimmt haben meine Cousinen Sie
mit Geschichten über meine jugendlichen Verfehlungen unterhalten«, sagte
er. »Bedauerlicherweise habe ich nicht das Leben eines Heiligen geführt, wie
ich zugeben muss.«
Offenbar hatte sie nicht damit
gerechnet, dass er den Stier so beherzt bei den Hörnern packen würde. Schnell
machte sie eine gleichmütige Handbewegung. »Welcher Gentleman hätte schon eine
vollkommen weiße Weste, was solche Abenteuer angeht?«
»Nicht wahr?« Er nickte ihr
zustimmend zu. »Die Hitzegewitter des Sommers weichen schließlich der Reife
des Herbstes. So ist es schon immer gewesen, und so wird es auch immer
bleiben.«
Beinahe hätte er laut gelacht, weil
er sah, dass seine Philosophiererei sie gänzlich verwirrte. Glücklicherweise
rettete der Butler die Situation, indem er just in diesem Moment mit dem Cognac
hereinkam. Es war ein wirklich köstlicher Weinbrand, der fünfzig Jahre in alten
Eichenfässern gereift war.
Zusammen gingen sie dann an den
Spieltisch hinüber, den Mrs. Rowland hatte aufbauen lassen. Vorsichtig bat
sie, ob sie zumindest am Anfang nicht gleich tausend Pfund pro Partie setzen
müssten. »Meine Tochter und ich spielen um Bonbons, Toffees, Karamell, Lakritz
...«
»Aber natürlich«, erklärte er
jovial. Tatsächlich hatte er selbst nur dreimal in seinem Leben um tausend
Pfund die Partie gespielt, und selbst einem Libertin wie ihm hatte das Herz
dabei geblutet, ein volles Jahreseinkommen während einer einzigen Nacht zu verspielen.
Mrs. Rowland stand auf und holte
eine große goldbeschlagene Schachtel. »Meine Tochter hat mir zu Ostern diese
Schweizer Pralinen geschickt. Sie weiß, dass ich eine Schwäche dafür
habe.«
Mehrere Lagen Schokolade lagen hier
in kleinen Tabletts übereinandergestapelt, in der obersten waren die meisten
Pralinen bereits aufgegessen. Schnell entnahm Mrs. Rowland der Schachtel das
oberste Tablett und stellte dann das volle darunter zwischen sich und den Duke
auf den Tisch.
»Was spielen Sie denn mit Ihrer
Tochter?«, erkundigte er sich und begann die Karten zu mischen, die auf
dem Tisch gelegen hatten.
»Ach, alles, was man zu zweit
spielen kann. Sie ist eine exzellente
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