Sheylah und die Zwillingsschluessel
Was meinte er damit? Hilfesuchend schaute sie zu Djego.
„Komm her, mein Kind, ich will Euch näher betrachten, meine Augen sind nicht mehr die jüngsten, müsst ihr wissen“, bat er und winkte sie zu sich. Djego musste sie erst anstupsen, damit sie sich in Bewegung setzte, denn es widerstrebte ihr, sich dem Tisch dieser sonderbaren Herren zu nähern. Der Graf erhob sich umständlich aus seinem thronähnlichen Stuhl und küsste ihre rechte Hand. Sheylah rang sich ein Lächeln ab und musste sich sehr zusammenreißen, um den feuchten Handrücken nicht an ihrem Kleid abzuwischen. „Oh, Ihr seid es wahrhaftig, Prinzessin, und nun erzählt mir, wie habt Ihr wieder zurückgefunden und wo wart ihr all die Jahre?“ Sheylah räusperte sich und trat wieder neben Djego, sie brauchte seine Unterstützung. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Graf, aber ich bin erst einundzwanzig Jahre alt, ich denke also nicht, dass wir uns vor sechzig Jahren gekannt haben.“ War das höflich genug oder hätte sie genausogut lauthals an seiner geistigen Verfassung zweifeln können? Sie grübelte, doch seine Reaktion fiel anders aus als erwartet. Er lachte und die vier Männer mit ihm. „Ihr scheint wirklich Euer Gedächtnis verloren zu haben. Nun, Euer treuer Begleiter Djego Gronwald erwähnte dies bereits. Könnt Ihr Euch denn an gar nichts erinnern?“
Er klang enttäuscht. Sheylah schüttelte hilflos den Kopf, dann sprach Djego für sie und sie war ihm sehr dankbar. Normalerweise war sie nicht so wortkarg, aber was sollte sie denn sagen? Dieser Spinner glaubte, sie vor fünfzig Jahren gekannt zu haben. Jede Person mit gesundem Menschenverstand wusste, dass das doch gar nicht möglich war. „Wir haben sie wenige Kilometer vor Guanell gefunden.“ Ein lautes Raunen ging durch das Publikum. „Wenn wir Lisas Hilfe nicht gehabt hätten, wäre sie direkt in die Arme unseres Feindes gelaufen.“ Wer war Lisa? „Ich glaube, sie hat jegliche Erinnerung an sich und unser Land verloren, kein Mensch hätte sich sonst so nah an Guanell herangewagt.“ Das war doch alles kompletter Schwachsinn, vielleicht sollte sie einfach aus dem Saal hinaus spazieren und nach Hause gehen. War ihr doch egal, was die Menschen hier dachten, doch sie konnte ihre Füße nicht bewegen. Ihr Verstand sagte ihr, sie sollte gehen, dass diese Menschen hier geistig verwirrt waren, aber ihr Herz sagte etwas anderes. Sie musste hier bleiben und sich den Rest anhören. „Entschuldigt die Frage, aber warum redet sie nicht selbst? Hat es ihr die Sprache verschlagen?“, fragte der Goldene und lehnte sich nach vorn. Sein Gesichtsausdruck war missbilligend, die Stimme abwertend und kalt wie Stein. Sie hatte recht gehabt, er war ein Arsch.
Der Graf sah ihn überrascht, aber unfreundlich an. „Ihr vergesst, mit wem Ihr sprecht, Marces. Sie ist unsere Prinzessin.“ Der Blaue neben Marces meldete sich ebenfalls zu Wort. „Woher sollen wir das wissen? Ich habe bis jetzt noch keinen Schlüssel gesehen.“ Er klang nicht weniger unfreundlich. Offenbar zogen die beiden am selben Strang. Der Graf machte ein glucksendes Geräusch. „Das liegt daran, dass ihn niemand außer ihr sehen kann, mein alter Freund. Und obendrein – reicht dir ihr Gesicht nicht zum Beweis? Sie ist das Ebenbild von Prinzessin Zizilia. Ich kann ein Gemälde kommen lassen, wenn du dich nicht mehr erinnerst“, sagte er spöttisch. Der Blaue sagte nichts dazu, sondern verschränkte die Arme vor der Brust wie ein beleidigtes Kind. „Ich werde ihr keine Truppen zur Verfügung stellen, wenn wir nicht hundertprozentig sicher sind, dass sie Zizilia ist. Sie soll es beweisen! Zeigt Euren Schlüssel!“, forderte Marces. Graf Aresto seufzte „So sei es!“, sagte er. Sheylah holte Tarem hervor und hielt ihn in die Luft. „Sie können ihn nicht sehen“, flüsterte ihr Djego zu. „Was?“, fragte sie. „Ein unsichtbarer Schlüssel, wie schön“, höhnte Marces und einige aus dem Publikum lachten. Der Graf lachte nicht. „Ihr müsst es auch wirklich wollen“, sagte er und schaute ihre Hand wie gebannt an. Das Problem war, sie wollte den Schlüssel gar nicht preisgeben, warum konnte sie auch nicht sagen, aber es war einfach nicht richtig. Er sollte verborgen bleiben, verborgen vor allem Schlechten. Und dieser Marces war schlecht, das fühlte sie. Aber sie hatte keine Wahl, denn über einhundert Augenpaare waren auf sie gerichtet. Sie wusste nicht ganz, wie sie es anstellen sollte, wie brachte man etwas
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