Sheylah und die Zwillingsschluessel
– du musst es nur wollen.“ „Wie genau funktioniert es?“, hakte Sheylah nach. „Durch Gedankenübertragung. Um mit Raqui zu kommunizieren, müsstest du nicht sprechen, nur denken, sie versteht dich aber auch so. Ihre Gedanken allerdings kannst du nur in deinem Kopf hören.“ „Wow“, machte Sheylah. „Ich höre sie aber nicht.“ Neela lächelte geduldig und erklärte. „Nur weil du jetzt die Macht besitzt, heißt das noch lange nicht, dass du auch mit ihr umgehen kannst. Es kann Jahre dauern.“
ABSCHIED NEHMEN
Hat Raqui dir erzählt, dass sie mir kurz vor dem Überfall der Skintii im Wald begegnet ist?“, fragte Sheylah. Neela wurde ernst. „Allerdings, immerhin habe ich sie geschickt.“ „Du wusstest also, dass ich komme? Wie kommt es, dass ihr alle davon gewusst habt? Hat es wirklich etwas mit dieser Hellseherin zu tun?“ Sheylah war wieder einmal verwirrt. „Du solltest Torga eigentlich nie erreichen, hier ist es nicht sicher für dich. Wir sind zu nah am feindlichen Gebiet.“ „Ich sollte Torga nicht erreichen? Wo sollte ich denn sonst hin?“ Bevor Neela antwortete, stand sie auf und ging zur Tür. Sie lauschte einen Moment in den dunklen Gang hinein, dann schloss sie die Tür und kam an ihren Platz zurück. Mit gesenkter Stimme antwortete sie schließlich: „Sheylah, was ich dir jetzt sage, muss absolut unter uns bleiben. Du darfst es niemandem verraten, egal, wie vertrauenswürdig er dir auch erscheint. Nur Andrey und Djego wissen davon. Wieso, ist jetzt unwichtig.“ Sheylah beugte sich gebannt vor, aber dann kam eine Frage, mit der sie absolut nicht gerechnet hätte. „Was siehst du, wenn du mich ansiehst?“, fragte Neela. „Was … was hat das damit zu tun?“, fragte Sheylah. Neela machte eine wegwerfende Handbewegung. „Antworte einfach: Welche Hautfarbe habe ich?“ Sheylah hob die Augenbrauen, aber Neela würde wohl nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre. „Na ja, du bist schwarz, soweit ich mich erinnern kann, die erste Farbige, die ich hier in der Stadt gesehen habe.“ „Und das nicht ohne Grund. Wenn die Menschen wüssten, dass ich keine Weiße bin, würden sie mich auf der Stelle hängen lassen.“ Sheylah gab einen empörten Laut von sich und wollte schon etwas erwidern, doch Neela gebot ihr, zu schweigen. „So wie du mich siehst, Sheylah, sieht mich kein anderer. Nur du durchbrichst den Zauber und erkennst meine wahre Gestalt, für alle anderen bin ich eine Weiße, so wie jeder Torger.“ Sheylah hätte es fast die Sprache verschlagen.
„Wie … wie machst du das?“ „Ich bin durch einen Zauber getarnt, den nur der Schlüssel zu durchschauen vermag. Ich habe deinen Gesichtsausdruck nicht vergessen, als wir uns das erste Mal begegneten. Du hast mich durchschaut und ich hatte schon Befürchtungen, du würdest meine Tarnung auffliegen lassen, aber zum Glück warst du so abgelenkt von den Geschehnissen um dich herum, dass du dich nicht weiter damit beschäftigt hast.“ Sheylah atmete ein paar Mal langsam ein und aus. Es war nicht gut für den Geist, jede Stunde eine neue schockierende Nachricht zu erhalten. Sie bekam Kopfschmerzen wie immer, wenn ihr alles zu viel wurde. „Wie siehst du denn für die anderen aus?“, fragte Sheylah schließlich. Neela sah sich um. „Wenn wir einen Spiegel hätten, könnte ich dir meine andere Gestalt zeigen“, antwortete sie. Sheylah stand auf und sah sich in der schmutzigen Küche um. Sie fand eine bronzene Schüssel und reichte sie ihr. „Versuch es damit.“ „Komm her und sieh es dir an. Es spiegelt zwar nicht gut, aber es wird schon gehen“, sagte Neela und hielt sich die Schüssel vor das Gesicht. Sheylah stellte sich daneben und sah eine weiße, langhaarige, blonde Frau. „Das ist echt abgefahren!“, staunte sie. „Was bedeutet ‚abgefahren‘?“, fragte Neela. Wie sollte man das am besten erklären? „Es bedeutet, dass ich sehr erstaunt bin und … ich es einfach cool finde.“ „Cool?“, hakte Neela nach. Ach verdammt, sie sollte ihren Wortschatz ändern. „Ich bin … einfach fasziniert“, sagte Sheylah schließlich. „Ach so, sag das doch gleich!“, meinte Neela und stellte die Schüssel beiseite. Hab ich ja, dachte Sheylah. Vielleicht sollte sie Neela ein paar Wörter beibringen, dann konnten sie sich ungehindert vor anderen Menschen unterhalten. Sozusagen als ihre Geheimsprache. Sheylah kam eine Frage in den Sinn. „Wenn die Torger dich wirklich töten würden, was machst du dann hier, wieso
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