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Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen

Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen

Titel: Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
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neben ihrer Auszeichnung als afroamerikanische Geschäftsfrau des Jahres 2002, die die Stadt New Orleans ihr verliehen hatte. Dann fiel der Bleistift hinter den Aktenschrank. »Toll, Gina. Gut gemacht«, sagte sie leise, verärgert über sich selbst, weil sie ihre Wut nicht beherrscht hatte. Es war spät, schon nach neun Uhr, und sie hielt sich als Einzige noch im Gebäude des Crescent City Centers auf. Seit zwölf Stunden war sie hier, riss sich ein Bein aus und war so frustriert wie noch nie in ihrem fünfundfünfzigjährigen Leben. Sie ging über den fadenscheinigen Teppich zum Aktenschrank und versuchte vergeblich, den Bleistift darunter zu ertasten. Der Aktenschrank war ein Monstrum und voll gestopft mit alten Akten von Klienten – Klienten, die sich bald um eine neue Einrichtung würden bemühen müssen, wo sie den Bedürfnissen nach geistiger Gesundheit Genüge tun konnten.
    Es sei denn, sie zauberte einen Goldesel aus dem Hut.
    Sie hatte schon bei fast allen Spendern, auf die sie zählen konnte, angeklopft, immer und immer wieder. Sie benötigteeinfach eine neue Liste mit reichen Menschenfreunden, falls es so etwas gab. Mit Hilfe eines Kleiderbügels fischte sie endlich den Bleistift, jetzt in lange, klebrige Spinnweben gehüllt, hinter dem Schrank hervor. Nachdem sie ihn mit einem Papiertuch gereinigt hatte, steckte sie ihn in den Becher auf ihrem Schreibtisch, ein Geschenk von jemandem, dem das Center für geistige Gesundheit geholfen hatte.
    »Gott, gib mir Kraft«, sagte sie, nahm ihren Regenmantel vom Kleiderständer im Flur und streifte ihn über. Der Mantel erschien ihr zu eng, was sie daran erinnerte, dass sie eigentlich auf Diät war und mindestens dreißig Pfund abnehmen musste. Aber sie war zu deprimiert, um ihrer ständig wachsenden Leibesfülle regelmäßig Beachtung zu schenken. Zu deprimiert und zu gestresst. Manche von ihren Freundinnen rauchten, wenn sie gereizt waren, andere hatten das Glück, bei nervlicher Überlastung nicht essen zu können. Sie dagegen empfand Essen in sorgenvollen Zeiten als einzigen Trost, und im Augenblick hatte sie verdammt viele Sorgen. Das Center würde dichtmachen müssen, und zwar schon bald, falls sie keine Möglichkeit fand, an das nötige Geld heranzukommen.
    Die Nacht hinter dem Fenster erschien ihr dunkler als gewöhnlich, aber vielleicht lag es nur daran, dass sie so frustriert war. Nach monatelangen Bemühungen zur Geldbeschaffung, Stunden am Telefon, Arbeit rund um die Uhr sah es so aus, als wäre alles umsonst gewesen.
    Sie ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen im Nacken zu lösen, schaltete fast überall das Licht aus und spähte dann durch die Glastür auf eine Stelle auf der anderen Straßenseite, an der sie schon zwei Mal an diesem Abend einen Mann hatte stehen sehen.
    Sie war an die Arbeit mit Spinnern gewöhnt. Schließlich wardas Center für Menschen da, die psychologische oder emotionale Unterstützung brauchten. Die schwereren Fälle wurden ins Krankenhaus überwiesen, doch die meisten Menschen, mit denen sie zu tun hatten, waren arme Seelen, die Medikamente oder einfach nur ein offenes Ohr benötigten. Ein Arzt und zwei Krankenschwestern leisteten freiwillige Hilfe, der Rest der Belegschaft bestand aus bezahlten Psychologen und Sozialarbeitern.
    In ihren fünfzehn Jahren im Center hatte Gina jede Menge merkwürdige Gestalten kennen gelernt. Wieso, fragte sie sich, hatte sie dann das Gefühl, dass an dem Kerl, den sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite knapp außerhalb des Lichtkreises der Straßenlaterne herumlungern gesehen hatte, etwas besonders faul war?
    Ein sechster Sinn?
    In diesem Teil von New Orleans wimmelte es von Obdachlosen und Gestrauchelten. Die Stadt beherbergte außerdem viele Spinner und Neurotiker und Drogenabhängige. Sosehr sie New Orleans liebte, kannte sie doch auch die Gefahren der Straße. Sie war als ältestes von sieben Kindern hier geboren und aufgewachsen. Ihr Vater, Franklin, war in seiner Jugend Boxer und später Busfahrer gewesen. Ihre Mutter hatte die Kinder großgezogen und nicht nur für ihre eigene Familie gekocht, sondern auch für Leute in der Nachbarschaft. Und dann hatte Ezzie Brown mit Hilfe einer kleinen Erbschaft und der Ermutigung all ihrer Bekannten ihr eigenes Restaurant am Rande des French Quarters eröffnet. Ezzies und Franklins Kinder hatten im Restaurant gearbeitet, ob es gesetzlich zulässig war oder nicht, hatten Tische abgewischt, gekellnert, gekocht, den Boden aufgewischt und

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