Shogun
nichts getan. Er hatte keine Angst mehr zu sterben.
Seine Augen suchten die Gefallenen unten in der Gasse. Ich hätte diesen Grauen für sie töten können, dachte er, und vielleicht noch einen oder gar mehrere von ihnen, aber es wäre immer ein anderer nachgerückt, und mein Tod hätte nichts dazu beigetragen, daß die Waagschale sich gesenkt oder gehoben hätte. Ich habe keine Angst vorm Sterben, sagte er sich. Ich bin nur entsetzt darüber, daß es nichts gibt, womit ich sie schützen könnte.
Graue trugen die Toten fort, wobei Graue wie Braune mit derselben Würde behandelt wurden. Andere Graue verließen die Gasse, ebenso Kiyama und seine Männer; Frauen, Dienerinnen und Kinder gingen fort, und ihre Füße wirbelten unten in der Gasse den Staub auf. Er roch den beizenden, leicht übel machenden Todesgeruch, der sich mit der Meeresbrise vermischte, und in seinem Inneren frohlockte er über sie und ihre Kühnheit, und der Todesmut, den sie bewiesen, erfüllte ihn mit einer unbeschreiblichen Wärme. Er sah zur Sonne hinauf und schätzte ihren Stand. Sechs Stunden vor Sonnenuntergang.
Er ging auf die Treppe zu, die nach unten führte. »Gehen dorthin«, sagte er zu seinen Grauen und zeigte hinunter in den Vorhof.
Der Hauptmann der Grauen überlegte einen Augenblick und stimmte dann zögernd zu. »Nun schön. Bitte, Ihr folgt mir.«
Unten im Vorhof spürte Blackthorne die Feindseligkeit, mit der die Braunen seine Grauen betrachteten. Yabu stand neben dem Tor und sah den Männern entgegen, die zurückkamen. Kiri und die Dame Sazuko fächerten sich Kühlung zu, eine Amme nährte das Kind. Sie saßen auf hastig hingelegten Decken und Kissen, die man im Schatten einer Veranda ausgebreitet hatte. Die Träger bildeten um das Gepäck und die Lasttiere herum auf der anderen Seite einen dichten, verängstigten Knäuel.
Die Gasse leerte sich, kaum fünfhundert Graue blieben, machten es sich bequem, hockten oder saßen mit untergeschlagenen Beinen im Halbkreis da und hatten die Gesichter dem Tor zugewandt. Der letzte der Braunen schleppte sich unter dem Torbogen hindurch.
Yabu rief mit lauter Stimme: »Werft das Tor zu, und legt den Balken vor.«
»Verzeiht, bitte, Yabu-san«, sagte der Offizier, »aber die Dame Toda hat gesagt, es solle offenbleiben. Wir sollen keine Männer hereinlassen, aber die Tore sollen offenbleiben.«
»Stimmt das auch?«
»Verzeiht, bitte, aber selbstverständlich stimmt das.«
»Danke. Ich wollte Euch nicht beleidigen, neh? Führt Ihr jetzt das Kommando hier?«
»Die Dame Toda hat mich mit ihrem Vertrauen beehrt, ja. Selbstverständlich steht Ihr über mir.«
»Ich führe das Oberkommando, doch hier befehlt Ihr.«
»Danke, Yabu-san – aber die Dame Toda ist es, die hier die Befehle erteilt. Ihr seid Oberkommandierender. Ich würde es als eine Ehre betrachten, wenn ich Euer Stellvertreter sein dürfte. Falls Ihr damit einverstanden seid.«
Mit düsterer Miene sagte Yabu: »Selbstverständlich bin ich einverstanden. Ich weiß sehr wohl, wer hier die Befehle gibt. Wie heißt Ihr? Bitte?«
»Sumiyori Tabito.«
»War nicht der erste Graue auch ein Sumiyori?«
»Jawohl, Yabu-san. Er war mein Cousin.«
»Wenn Ihr fertig seid, Hauptmann Sumiyori, ruft bitte sämtliche Offiziere zusammen.«
»Gewiß, Euer Gnaden. Mit ihrer Erlaubnis.«
Beide Männer wandten den Blick ab, als eine alte Dame in den Vorhof hereingehumpelt kam. Sie war schon fast eine Greisin, war Samurai und stützte sich offensichtlich unter Schmerzen auf einen Stock. Ihr Haar war schlohweiß, aber den Rücken hielt sie kerzengerade.
»Ah, Kiritsubo-san«, sagte sie förmlich. »Ich bin Maeda Etsu, die Mutter von Herrn Maeda, und ich teile die Ansichten der Dame Toda. Mit ihrer Erlaubnis würde ich es mir als Ehre anrechnen, zusammen mit ihr hier zu warten.«
»Bitte, setzt Euch, Ihr seid willkommen«, sagte Kiri. Eine Zofe brachte noch ein Kissen, und beide Zofen halfen der alten Dame, sich niederzulassen.
Andere Samurai-Frauen lösten sich aus der Menge der Fortstrebenden und kehrten durch die Reihen der Grauen in den angenehmen Schatten zurück. Ein paar zögerten auch, und vier besannen sich zuletzt eines Besseren, doch immerhin waren bald vierzehn Damen auf der Veranda versammelt. Zwei von ihnen hatten Kinder mitgebracht.
»Bitte, verzeiht mir, aber ich bin Achiko, Kiyama Nagamasas Frau, und ich möchte auch nach Hause«, sagte schüchtern eine noch sehr junge Frau, die einen kleinen Sohn an der Hand
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