Shogun
zueilte. Der Taubenmeister kam aus dem Haus und ihm entgegen. Naga erbrach das Siegel und las, was auf dem Papierstreifen stand: »Galeere und alle an Bord bleiben bis zu meiner Ankunft in Yokohama.« Die Unterschrift lautete: Toranaga.
In der frühen Morgensonne kamen die Reiter über den Rand des Hügels. Die ersten waren die fünfzig Späher der Vorhut unter Buntaro. Dann kamen die Bannerträger. Dann Toranaga. Und nach ihm die Masse der Hauptabteilung der Krieger unter Omi. Ihnen folgten dicht gedrängt Pater Alvito und zehn Priesterschüler, und hinter ihnen die Falkner mit den Falken auf der Faust. Bis auf einen großen Hühnerhabicht waren die Falken alle verkappt mit gelben Hauben. Sämtliche Samurai waren schwer bewaffnet und trugen Kettenpanzer und Küraß.
Toranaga ritt unbeschwert dahin. Er war nicht mehr niedergeschlagen, sondern wie verwandelt, und er freute sich, daß das Ende der Reise gekommen war. Zweieinhalb Tage war es her, daß er Naga den Befehl geschickt, die Galeere in Yokohama festzuhalten, und in einem Gewaltmarsch von Mishima aufgebrochen war. Sie waren sehr schnell vorangekommen, hatten rund alle zwanzig Ri die Pferde gewechselt. An einer Relaisstation hatten keine Pferde bereitgestanden, und der verantwortliche Samurai war abgesetzt und sein Einkommen einem anderen übergeben worden. Er selbst war aufgefordert worden, Seppuku zu begehen oder sich den Kopf zu scheren und Priester zu werden. Der Mann hatte den Tod gewählt.
Der Trottel hat doch Bescheid gewußt, dachte Toranaga, schließlich ist der ganze Kwanto kriegsbereit. Immerhin, der Tod dieses Mannes war keine unsinnige Verschwendung. Zumindest wird die Nachricht davon bis in den äußersten Winkel meines Herrschaftsbereichs dringen, und es wird keinen unnötigen Aufenthalt mehr geben.
In vier Tagen wird der Tag sein, der zweiundzwanzigste Tag des achten Monats, des Monats zum Betrachten des Mondes. Heute wird sich der Höfling Ogaki Takamoto in aller Form zu Ishido begeben und mit Bedauern verkünden, daß der Sohn des Himmels seinen Besuch aus Krankheitsgründen um ein paar Tage verschieben muß.
Es war so einfach gewesen, diesen Aufschub zu erreichen. Obgleich Ogaki ein Prinz siebten Grades war und seine Abstammung auf den Kaiser Go-Shoko zurückführte, den fünfundneunzigsten Tenno der Dynastie, war er wie alle Mitglieder des Kaiserlichen Hofes verarmt. Der Hof war seit Jahrzehnten auf karge Bezüge angewiesen, die der jeweilige Shōgun, Kwampaku oder die jeweils herrschende Junta des Tages ihm gewährte. Daher hatte Toranaga über Mittelsmänner in aller Bescheidenheit und mit größter Umsicht jährlich zehntausend Koku angewiesen, um, wie Ogaki selbst es wünschte, bedürftigen Verwandten unter die Arme zu greifen – und hatte mit aller gebotenen Demut darauf hingewiesen, daß es ihm als einem Minowara, die sich selbst auf Go-Shoko zurückführten, ein Vergnügen sei zu helfen und er darauf vertraue, daß der Erhabene in einem so tückischen Klima wie dem von Osaka sorgfältig auf seine kostbare Gesundheit achte – besonders um den zweiundzwanzigsten Tag herum.
Selbstverständlich gab es keine Garantie, daß Ogaki den Erhabenen überreden oder überhaupt von etwas abbringen konnte, doch war Toranaga davon ausgegangen, daß die Ratgeber des Sohns des Himmels oder der Sohn des Himmels selbst froh sein könnten, einen Vorwand zu haben, die Abreise hinauszuschieben – möglicherweise sogar in der Erwartung, sie zuletzt überhaupt ganz abblasen zu können. Nur ein einziges Mal in drei Jahrhunderten hatte ein regierender Kaiser seine Zuflucht in Kyoto verlassen. Das war vor vier Jahren gewesen, als er einer Einladung des Taikō zur Kirschblüte in der Umgebung der Burg von Osaka gefolgt war, was übrigens zusammengefallen war mit seinem Verzicht auf den Titel Kwampaku zugunsten von Yaemon, wodurch er die Nachfolge praktisch durch den Kaiser hatte besiegeln lassen.
Morgen also werden Ishido und seine Verbündeten gegen mich zu Felde ziehen. Wieviel Zeit bleibt mir dann noch? Wo sollte die entscheidende Schlacht stattfinden? Etwa bei Odawara? Ein Sieg hängt immer auch vom Zeitpunkt und vom Ort der Schlacht ab und nicht nur von der Anzahl der Krieger, über die man verfügt. Sie werden mir mindestens mit dreifacher Übermacht entgegentreten. Aber wie dem auch sei, dachte er, Ishido kommt aus der Burg von Osaka heraus! Mariko hat ihn herausgelockt. Zwar habe ich im Schachspiel um die Macht meine Königin geopfert, Ishido
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