Shon'jir – die sterbende Sonne
staubigen Gesicht und hinterließ Schmutzstreifen darin. Niun sah die Korridore hinab, die sich strahlenförmig von der Halle aus erstreckten und stellte fest, daß nur bis zum Rand dieses Raumes Staub lag; dahinter war der Boden sauber und glänzend. Ein Kribbeln machte sich in Niuns Nacken bemerkbar, wie ein Dus-Sinn. Dieser Ort hätte ihn mit Hoffnung erfüllen sollen. Es war eher eine Auffassung, das Bewußtsein, in dieser Halle fremd zu sein. Er fragte sich, wo die Dusei waren, warum sie weggegangen waren, und er wünschte sich, die Tiere jetzt bei sich zu haben.
»Kommt!« sagte Melein. Sie sagte es in gedämpftem Tonfall, und doch löste ihre Stimme immer noch Echos aus. »Bringt das Pan'en! Ihr müßt es tragen.«
Sie hoben es vom Schlitten, und Niun legte es vorsichtig in Duncans Arme. Es war eine Last, die zu tragen eine Ehre für ihn gewesen wäre, aber er dachte, daß es ihm zufiel, es zu verteidigen, und das konnte er nicht machen, wenn er es in den Armen hielt. »Kannst du es tragen, Sov-kela?« erkundigte er sich, denn das Ovoid war schwer und seltsam ausbalanciert, und Duncan atmete hörbar. Er neigte jedoch den Kopf nach Art der Mri, versicherte, es zu schaffen, und sie folgten Melein mit leisen Schritten in die erleuchteten und glänzenden Korridore.
Der Schrein des Hauses mußte zwischen den Anbauten des Kel und des Sen liegen. Das Kel, die Wächter der Tür, Das-Gesicht-das-nach-außengewandt-ist, kam immer zuerst; dann der Schrein, das Heilige; und dann der Anbau des Sen, der Turm für den Geist des Volkes, Das-Gesicht-das-nachinnen-gewandt-ist, das Unverschleierte. Solch einen Schrein gab es in der Tat, einen kleinen und schattigen Raum, in dem die Lampen kalt waren und das Glas der Gefäße vor Alter trübe geworden war.
»Ai«, seufzte Melein und faßte an die korrodierte Bronze des Pana-Schirms. Niun wandte die Augen ab, denn er sah dahinter nur Dunkelheit, und nichts, das im Heiligen verblieben war.
Sie zogen sich rasch von diesem Ort zurück und sammelten Duncan wieder auf, der aus Scheu vor dem Eintreten an der Tür gewartet hatte. Und Niun dachte, daß er Duncans besorgten Blick verstand: gä- be es hier noch Angehörige des Volkes, dann hätte der Schrein des Hauses Feuer enthalten. Niun faßte im Gehen an die kalte Oberfläche des Pan'en, eine Bekräftigung und Reinigung nach der Verlassenheit des Schreins.
Und doch waren da die Lampen mit ihrem kalten, klaren Licht; und überall makellose Fliesen, wo doch überall draußen dicker Staub lag. Dieser Ort lebte. Er bezog aus irgendeiner Quelle Energie. Melein blieb an einer weiteren Schalttafel stehen, und auch in anderen Korridoren ging das Licht an, in der Tiefe des Sen-Turmes und weiter rechts in dem, was einmal der Turm einer seit langem toten She'pan gewesen war.
Und am bittersten von allem war der Zugang zum Kath-Turm, der sie mit seiner Leere verspottete.
»Es könnte Verteidigungsanlagen geben«, meinte Duncan.
»Das trifft zu«, sagte Melein.
Dann jedoch drehte sie sich um und begann, den Aufgang zum Sen-Turm hinaufzusteigen, wohin ihr Kel'ein nicht folgen durften. Niun stand hilflos und ängstlich da, bis sie stehenblieb und ihm auffordernd zunickte, die Erlaubnis zur Übertretung gab.
Duncan folgte ihm schwer atmend mit dem Pan'en; und langsam stiegen sie die sich windende Rampe hinauf, kamen dabei an klobigen Markierungen vorbei, die den Zeichen des alten Edun ähnelten, jedoch seltsam und von maschineller Präzision waren.
Mehr Lichter: sie durchquerten den endgültigen Zugang zur Sen-Halle und traten hinter Melein in einen gewaltigen Raum, in dem ihre Schritte widerhallten. Er war kahl. Es gab keine Teppiche und keine Polster, nichts außer einem verrosteten Eßgeschirr aus Messing, das auf einem safrangelben Steinsockel stand. Es sah so aus, als würde es eine einzige Berührung zerstören.
Die Korrosion hatte Abfall aus ihm gemacht.
Es gab jedoch keine Spur von Staub, nichts, außer auf diesem Sockel, wo er so dicht lag, wie man es nach einer so langen Zeit auch erwarten würde.
Melein ging weiter, durch andere Eingänge in einen Bereich, der ihr, die sechs Jahre lang Sen'e'en gewesen war, sicherlich vertraut war; und erneut blieb sie stehen und befahl den Männern, bei ihr zu bleiben und Dinge zu sehen, die dem Kel auf ewig verboten gewesen waren. Vielleicht, dachte Niun traurig, spielte das alles keine Rolle mehr.
Lichter flammten unter ihrer Hand auf. Maschinen lagen vor ihnen, ein gewaltiger Raum voller
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