Shutter Island
Lichtung, die zum Fuß einer Hügelkette hin abfiel. Die Hügel stiegen gleichmäßig an, wurden immer höher und liefen in der schroffen Klippe aus. Teddy sah Einkerbungen in den Hügeln und längliche Löcher im Felsen.
»Höhlen?«, fragte er McPherson.
McPherson nickte. »Einige.«
»Schon durchsucht?«
McPherson seufzte und schirmte ein Streichholz mit der Hand vor dem Wind ab, um sich eine Zigarette anzuzünden. »Sie besitzt zwei Paar Schuhe, Marshal. Beide wurden in ihrem Zimmer gefunden. Wie soll die Frau durch dieses Dickicht gelangen, die Felsen überwinden und die Klippe hochklettern?«
Teddy wies auf die niedrigsten Hügel hinter der Lichtung. »Wenn sie den langen Weg nimmt und sich von Westen heranarbeitet?«
McPherson stellte sich neben Teddy und zeigte ebenfalls in die Ferne. »Sehen Sie da hinten, wo die Lichtung abfällt? Da ist es sumpfig, wo Sie meinen. Am Fuß der Hügel da hinten wächst nichts anderes als Efeu, Gifteiche und Sumach, tausend verschiedene Pflanzen mit Dornen so dick wie mein Schwanz.«
»Heißt das große oder kleine Dornen?«, fragte Chuck und sah sich über die Schulter um.
McPherson schmunzelte. »Irgendwas dazwischen.«
Chuck nickte.
»Was ich damit sagen will: Sie hatte keine andere Möglichkeit, als in der Nähe der Küste zu bleiben, und in beiden Richtungen hört der Strand irgendwann auf.« Er wies auf die Klippe. »Weil da so was steht.«
Eine Stunde später standen sie auf der anderen Seite der Insel vor einer Umzäunung. Dahinter lag die alte Festung und der Leuchtturm. Teddy sah, dass der Leuchtturm noch einmal eingezäunt war. Zwei Wachen standen am Tor, Gewehr vor der Brust.
»Abwasseraufbereitung?«, fragte er.
McPherson nickte.
Teddy sah Chuck an. Chuck hob die Augenbrauen.
»Abwasseraufbereitung?«, wiederholte Teddy.
Beim Abendessen blieben sie allein am Tisch, niemand gesellte sich zu ihnen. Ihre Kleidung war klamm vom erbarmungslosen Sprühregen und dem warmen Wind, der Meerwasser mit sich trug. Draußen raschelte die Insel im Dunkeln, die Brise frischte auf.
»Ein verschlossenes Zimmer«, sagte Chuck.
»Barfuß«, ergänzte Teddy.
»Vorbei an drei Wachposten im Haus.«
»Durch einen ganzen Raum voller Pfleger.«
»Barfuß«, wiederholte Chuck.
Teddy stocherte im Essen herum, eine Art Auflauf mit zähem Fleisch. »Über eine Mauer mit elektrischem Draht.«
»Oder durch ein bewachtes Tor.«
»Und das bei diesem Wetter.« Der Wind rüttelte am Haus, an der Dunkelheit.
»Barfuß.«
»Und keiner hat sie gesehen.«
Chuck kaute auf dem Fleisch herum und trank einen Schluck Kaffee. »Wenn auf der Insel einer stirbt – muss ja auch mal vorkommen, oder? –, was machen die dann mit dem?«
»Begraben.«
Chuck nickte. »Hast du einen Friedhof gesehen?«
Teddy schüttelte den Kopf. »Ist wahrscheinlich irgendwo hinter einem Zaun.«
»Wie die Kläranlage. Sicher.« Chuck schob das Tablett von sich und lehnte sich zurück. »Mit wem sprechen wir als nächstes?«
»Mit den Angestellten.«
»Glaubst du, die helfen uns weiter?«
»Du etwa nicht?«
Chuck grinste. Er zündete sich, den Blick auf Teddy gerichtet, eine Zigarette an, und sein Grinsen wurde zu einem leisen Lachen. Im selben Rhythmus stieß er den Rauch aus.
Teddy stand in der Mitte des Raumes, das Personal im Kreis um ihn herum. Er stützte die Hände auf die Rückenlehne eines Stuhls aus Metallrohr. Chuck lehnte sich neben ihm an einen Pfosten, die Hände in den Taschen.
»Ich gehe davon aus, dass alle wissen, um was es hier geht«, sagte Teddy. »Gestern Abend ist jemand ausgebrochen. Soweit wir wissen, ist die Patientin verschwunden. Bisher weist alles darauf hin, dass sie die Einrichtung nicht ohne fremde Hilfe verlassen hat. Stimmen Sie mir zu, Mr. McPherson?«
»Ja. Ich würde sagen, zu diesem Zeitpunkt ist das eine gerechtfertigte Einschätzung der Lage.«
Teddy wollte fortfahren, doch Cawley, der auf einem Stuhl neben der Krankenschwester Marino saß, unterbrach ihn: »Könnten sich die Herren bitte kurz vorstellen? Einige Mitarbeiter haben noch nicht Ihre Bekanntschaft gemacht.«
Teddy reckte sich zu voller Größe. »U. S.-Marshal Edward Daniels. Das ist mein Kollege, U. S.-Marshal Charles Aule.«
Chuck winkte kurz und schob die Hand in die Tasche zurück.
»Mr. McPherson, Sie haben das Gelände mit Ihren Leuten abgesucht«, sagte Teddy.
»Ja, klar.«
»Und was haben Sie gefunden?«
McPherson streckte sich auf dem Stuhl. »Wir haben keinen
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