Shutter Island
Mitarbeiter sahen sich gegenseitig an, dann nickte ein Schwarzer, und die übrigen Pfleger taten es ihm nach.
»Wer war zu dem Zeitpunkt noch dabei?«
Vier Schwarze und ein Weißer hoben die Hand.
Chuck nahm sich den Anführer vor, der als erster genickt und die Hand gehoben hatte. Es war ein fülliger, fleischiger Typ, dessen rasierter Schädel im Licht glänzte.
»Wie heißen Sie?«
»Trey. Trey Washington.«
»Trey, wo genau haben Sie gesessen?«
Trey wies auf den Boden. »Genau hier. In der Mitte. Von hier hat man die Treppe gut im Blick. Ein Auge auf der Eingangstür, eins auf der Hintertür.«
Chuck stellte sich neben ihn und reckte den Kopf, um die beiden Türen und die Treppe zu sehen. »Gute Position.«
Trey senkte die Stimme. »Ist nicht nur wegen den Patienten. Auch wegen der Ärzte und wegen ein paar Schwestern, die was gegen uns haben. Wir dürfen eigentlich nicht Karten spielen. Wir müssen aufpassen, wenn einer kommt, damit wir uns sofort ’nen Schrubber packen können.«
Chuck grinste. »Sie sind bestimmt ganz schön flink.«
»Haben Sie es schon mal im Sommer blitzen sehn?«
»Ja.«
»Ist nichts im Vergleich zu mir, wenn ich mir den Schrubber packe.«
Das löste die Stimmung. Schwester Marino konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und einige Schwarze schlugen sich gegenseitig ab. In dem Moment wusste Teddy, dass Chuck für die Dauer ihres Aufenthalts hier der Gute sein würde. Er konnte mit Menschen umgehen. In jeder Umgebung schien er klarzukommen, ungeachtet der Hautfarbe und sogar der Sprache. Teddy fragte sich, warum um alles in der Welt die Dienststelle in Seattle ihn hatte gehen lassen. Eine japanische Freundin – wen störte so was?
Teddy hingegen war der geborene Anführer. Wenn die anderen das akzeptierten, wie sie es im Krieg ziemlich schnell getan hatten, kam er hervorragend mit ihnen aus. Wenn nicht, gab es Spannungen.
»Schon gut.« Chuck hob die Hand, um das Gelächter zu beenden, musste aber selbst grinsen. »Gut, Trey, Sie waren alle hier unten am Treppenabsatz und spielten Karten. Wann merkten Sie, dass etwas nicht stimmte?«
»Als Ike – ähm, Mr. Ganton, meine ich – von oben runterrief: ›Holt den Direktor. Wir haben einen Ausbruch‹.«
»Und wann war das?«
»Um null Uhr zwei und neununddreißig Sekunden.«
Chuck hob die Augenbrauen. »Im Zweitberuf Stoppuhr?«
»Nein, Sir, aber ich hab mir angewöhnt, beim ersten Anzeichen von Ärger auf die Uhr zu sehen. Wenn es irgendwelche besonderen Vorkommnisse gibt, müssen wir immer einen Vordruck ausfüllen, ein Protokoll. Auf so einem Blatt wird man als erstes nach der Uhrzeit gefragt. Wenn man genug von solchen Formularen ausgefüllt hat, gewöhnt man sich an, bei der kleinsten Unregelmäßigkeit auf die Uhr zu gucken.«
Mehrere Pfleger nickten zustimmend, einige bestätigten es brummend oder sagten: »Genau«, als wären sie in einem Gottesdienst der Erweckungskirche.
Chuck sah Teddy an, als wollte er sagen: Na, was hältst du davon?
»Also um null Uhr zwei.«
»Und neununddreißig Sekunden.«
Teddy sagte: »Dass es zwei Minuten nach zwölf war, liegt das daran, weil Sie zuerst noch in anderen Zimmern nachgesehen haben, bevor Sie zu Miss Solando gingen?«
Ganton nickte. »Sie ist die Fünfte auf dem Flur.«
»Wann traf der Direktor ein?«, fragte Teddy.
»Hicksville – ist ’n Wärter – ging als erster nach draußen«, erwiderte Trey. »Saß, glaub ich, am Tor. Um null Uhr sechs und zweiundzwanzig Sekunden war er zurück. Der Direktor kam vier Minuten später mit sechs Leuten.«
Teddy wandte sich an Schwester Marino. »Sie hörten die Unruhe und …«
»Ich hab sofort das Schwesternzimmer abgeschlossen. Bin ungefähr zur gleichen Zeit im Wohnbereich gewesen, als Hicksville von draußen reinkam.« Sie zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an. Mehrere verstanden das als Aufforderung, es ihr gleichzutun.
»An Ihnen im Schwesternzimmer konnte also niemand vorbeischleichen?«
Sie stützte das Kinn in die Hand und sah Teddy durch den Rauch hindurch an. »An mir vorbei wohin? Zur Bädertherapie? Da sitzt man in einem Betonbunker mit ’ner Menge Badewannen und ein paar Planschbecken fest.«
»Wurde der Raum durchsucht?«
»Ja, Marshal«, sagte McPherson mit müder Stimme.
»Schwester Marino«, sagte Teddy, »Sie haben gestern Abend ebenfalls an der Gruppentherapie teilgenommen.«
»Ja.«
»War irgendwas auffällig?«
»Wie definieren Sie ›auffällig‹?«
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher