Shutter Island
ziemlich sicher.«
»Dann eben morgen. Oder übermorgen«, sagte Teddy. »Glauben Sie immer noch, dass sich Rachel draußen aufhält? Bei diesem Wetter?«
»Nein«, sagte Cawley. »Glaube ich nicht.«
»Wo ist sie dann?«
Cawley seufzte. »Ich weiß es nicht, Marshal. Ist nicht mein Spezialgebiet.«
Teddy nahm das Blatt Papier vom Bett. »Dies ist eine Vorlage. Eine Anleitung zum Entschlüsseln künftiger Botschaften. Darauf wette ich meinen Monatslohn.«
»Und wenn?«
»Dann will sie gar nicht flüchten. Sie hat uns hergeholt. Ich glaube, es gibt noch mehr Zettel dieser Art.«
»Nicht in diesem Zimmer«, sagte Cawley.
»Das nicht. Aber vielleicht in diesem Haus. Oder irgendwo draußen auf der Insel.«
Cawley atmete laut durch und klammerte sich an der Fensterbank fest. Der Mann konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Teddy fragte sich, was ihn in der letzten Nacht tatsächlich nicht hatte einschlafen lassen.
»Rachel soll Sie hergeholt haben?«, sagte Cawley. »Aus welchem Grund?«
»Sagen Sie es mir!«
Cawley schloss die Augen und schwieg so lange, dass Teddy sich schon fragte, ob er eingeschlafen sei.
Dann sah Cawley die beiden wieder an. »Ich habe einen langen Tag vor mir. Ich habe Mitarbeiterbesprechung, Etatbesprechung mit dem Kuratorium, Besprechungen mit der Technik für den Fall, dass der Sturm uns richtig in die Zange nimmt. Sie werden sich freuen zu hören, dass ich dafür gesorgt habe, dass Sie mit allen Patienten sprechen können, die am Abend, als Miss Solando verschwand, mit ihr in der Gruppentherapie waren. Diese Gespräche können in einer Viertelstunde beginnen. Meine Herren, ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie hier sind. Ich mache hier wirklich Männchen für Sie, auch wenn Sie das nicht glauben wollen.«
»Dann geben Sie mir Dr. Sheehans Personalakte.«
»Das kann ich nicht. Das geht auf gar keinen Fall.« Cawley lehnte den Kopf gegen die Wand. »Marshal, ich habe den Telefonisten angewiesen, es ständig bei Sheehan zu versuchen. Aber im Moment können wir niemanden erreichen. Soweit wir wissen, steht die gesamte Ostküste unter Wasser. Geduld, meine Herren. Um mehr bitte ich Sie nicht. Wir werden Rachel finden, zumindest bekommen wir heraus, was mit ihr passiert ist.« Er sah auf die Uhr. »Ich komme zu spät. Gibt es noch was oder kann das warten?«
Sie standen unter einer Markise draußen vor der Klinik. Der Regen fegte in heftigen Böen an ihnen vorbei.
»Meinst du, er weiß, was die 67 bedeutet?«, fragte Chuck.
»Ja.«
»Glaubst du, dass er den Code schon vor dir geknackt hatte?«
»Ich glaube, dass er beim OSS war. Ich glaube, dass er in dem Bereich ein gewisses Talent besitzt.«
Chuck wischte sich übers Gesicht und schüttelte die Finger aus. »Wie viele Patienten gibt es hier?«
»Die Klinik ist klein«, sagte Teddy.
»Ja.«
»Wie viele, vielleicht zwanzig Frauen, dreißig Männer?«
»Nicht viele.«
»Nein.«
»Jedenfalls weniger als siebenundsechzig.«
Teddy sah Chuck an. »Aber …«, sagte er.
»Ja«, sagte Chuck. »Genau.«
Und sie schauten über die Bäume hinweg zur Spitze der Festung, vom Wolkenbruch in den Hintergrund gedrängt, verschwommen und undeutlich wie eine Kohlezeichnung in einem verrauchten Raum.
Teddy fiel wieder ein, was Dolores im Traum gesagt hatte: Zähl die Betten.
»Wie viele sind wohl da oben in der Festung, was meinst du?«
»Keine Ahnung«, sagte Chuck. »Müssen wir wohl unseren hilfsbereiten Arzt fragen.«
»O ja, der ist geradezu aufdringlich, was?«
»Ähm, Chef?«
»Ja?«
»Hast du in deinem Leben schon mal so eine Verschwendung von Steuergeldern gesehen?«
»Warum?«
»Fünfzig Patienten auf diesen beiden Stationen? Was glaubst du, wie viele passen hier normalerweise rein? Ein paar hundert?«
»Mindestens.«
»Und das Verhältnis von Patienten und Personal! Auf jeden Patienten kommen hier zwei Mitarbeiter. Hast du so was schon mal gesehen?«
»Darauf ein klares Nein von mir.«
Sie betrachteten das Gelände, auf das unermüdlich Wasser prasselte.
»Was zum Teufel ist das hier?«, fragte Chuck.
Chuck und Teddy führten die Gespräche hinten in der Kantine an einem Tisch. Zwei Pfleger saßen in Rufweite, und Trey Washington hatte die Aufgabe, die Patienten hereinzubringen und anschließend wieder abzuholen.
Als Erstes kam ein unrasiertes, unablässig zwinkerndes menschliches Wrack mit tausend nervösen Ticks. Der Mann saß zusammengesunken da wie ein Pfeilschwanzkrebs, kratzte sich an den
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