Shutter Island
auf. Sie schleuderten durch eine scharfe Kurve, und Teddy konnte das Meer zu seiner Linken sehen. Das Wasser schäumte, wie Atompilzwolken schossen weiße Fontänen empor.
Der Jeep bretterte über mehrere Buckel nach unten und raste dann in einen kleinen Wald. Teddy und Chuck auf der Rückbank klammerten sich an die Sitze, wurden immer wieder gegeneinander gestoßen. Schon hatten sie die Bäume hinter sich gelassen. Vor ihnen lag die Rückfront von Cawleys Prachtbau. Es ging über Mulch und Tannennadeln, dann waren sie auf der Straße zum Krankenhaus. Der Fahrer fuhr die niedrigen Gänge aus und röhrte auf das Haupttor zu.
»Wir bringen Sie gleich zu Dr. Cawley«, sagte McPherson, nach hinten gewandt. »Er kann es gar nicht erwarten, mit Ihnen zu reden.«
»Und ich hab gedacht, meine Mutter wäre in Seattle«, sagte Chuck.
Sie duschten im Keller des Wohnheims und bekamen frische Hemden und Hosen aus dem Klinikbestand. Ihre nasse Kleidung wurde in die Wäscherei gebracht. Im Badezimmer kämmte Chuck sein Haar nach hinten und betrachtete sich in weißer Pflegertracht. »Darf ich Ihnen die Weinkarte bringen?
Wir empfehlen heute Rinderfilet Wellington. Wirklich gut.«
Trey Washington steckte den Kopf herein. Er verkniff sich ein Grinsen, als er ihre neue Aufmachung sah. Dann sagte er: »Ich soll euch zu Dr. Cawley bringen.«
»Bekommen wir großen Ärger?«
»Oh, ein bisschen schon, würde ich sagen.«
»Meine Herren«, sagte Cawley, als sie die Tür öffneten, »wie schön, Sie zu sehen.«
Er schien großmütig aufgelegt zu sein. Seine Augen leuchteten. Teddy und Chuck betraten einen Sitzungsraum im obersten Stock der Klinik. Trey blieb vor der Tür stehen.
Der Saal war voller Ärzte, einige in weißen Laborkitteln, andere in Anzügen. Sie saßen an einem langen Teakholztisch mit grünen Bankerlampen und dunklen Aschenbechern, in denen Zigaretten und Zigarren glühten. Die einzige Pfeife rauchte Naehring, der am Kopfende saß.
»Liebe Kollegen, das sind die Marshals der Bundesregierung, über die wir gesprochen haben. Marshal Daniels und Marshal Aule.«
»Wo ist Ihre Uniform?«, erkundigte sich einer.
»Gute Frage«, sagte Cawley. Er schien sich köstlich zu amüsieren.
»Wir waren draußen im Sturm«, erklärte Teddy.
»Da draußen?« Der Arzt zeigte auf die hohen Fenster. Sie waren kreuz und quer mit dickem Band beklebt und schienen unmerklich Luft abzugeben, in den Raum zu atmen. Gegen die Scheiben trommelte der Regen, das ganze Gebäude ächzte unter dem Druck des Windes.
»Leider ja«, sagte Chuck.
»Wenn Sie bitte Platz nehmen würden, meine Herren«, sagte Naehring. »Wir sind gleich fertig.«
Am Ende des Tisches standen zwei leere Stühle.
»John«, sagte Naehring, »wir müssen uns einigen.«
»Du kennst meine Meinung.«
»Ja, und die respektieren wir auch alle, aber wenn Neuroleptika zum notwendigen Abbau des gestörten Serotoninspiegels führen, dann haben wir gar keine andere Wahl, denke ich. Wir dürfen die Forschungsreihe nicht einstellen. Diese erste Testpatientin, diese, ähm, Doris Walsh, erfüllt alle Kriterien. Ich kann da kein Problem erkennen.«
»Ich mache mir nur Sorgen wegen der Kosten.«
»Die Therapie ist weitaus günstiger als operieren, und das weißt du.«
»Ich spreche von dem Risiko, dass Basalganglien und Hirnrinde geschädigt werden. Ich spreche von älteren europäischen Studien, die auf das Risiko neurologischer Störungen hinweisen, ähnlich den Folgen von Enzephalitis und Schlaganfall.«
Naehring wischte den Einwurf mit erhobener Hand zur Seite. »Alle, die für Dr. Brotigans Antrag sind, heben bitte die Hand.«
Teddy sah alle Hände am Tisch in die Höhe schnellen, außer die von Cawley und einem anderen Mann.
»Damit ist die Entscheidung gefallen«, sagte Naehring. »Wir beantragen beim Kuratorium Gelder für Dr. Brotigans Forschungsprojekt.«
Ein junger Mann, es musste Brotigan sein, dankte mit einem Nicken zur rechten und zur linken Tischseite. Mit seinem kantigen Kinn, dem athletischen Körper und den glatten Wangen war er der Typ Mann, dachte Teddy, den man nicht aus den Augen lassen durfte. Allzu zielstrebig erfüllte er die ausgefallensten Träume seiner Eltern.
»Nun, gut«, sagte Naehring, schloss die vor ihm liegende Akte und blickte über den Tisch zu Teddy und Chuck. »Wie sieht es bei Ihnen aus, meine Herren?«
Cawley stand auf und goss sich am Sideboard eine Tasse Kaffee ein. »Es wird erzählt, man hätte Sie in einem
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