Shutter Island
gerichtet und lief im gleichen Tempo weiter.
»Du musst dich möglichst in der Mitte halten«, erklärte Al. »Trotzdem kriegst du mindestens einmal die Woche was ab. Hast du deinen Mann schon gefunden?«
Teddy schüttelte den Kopf. »Nein, ich –«
»Oh, Scheiße«, sagte Al.
»Was ist?«
»Da kommt meiner.«
Ein pudelnasser Patient kam auf sie zugelaufen. Die Wärter ließen den Wasserschlauch fallen und nahmen die Verfolgung auf. Es war ein kleiner Rothaariger, im Gesicht unzählige Mitesser, wie ein Bienenschwarm, und rote Augen, passend zum Haar. Im letzten Moment machte er einen Schritt nach rechts und tauchte zwischen Teddy und Al hindurch. Er ließ sich auf die Knie fallen, rollte weiter und rappelte sich wieder auf. Al griff ins Leere.
Dann lief er los. Die Wärter sausten mit erhobenen Schlagstöcken an Teddy vorbei, sie waren so nass wie der Flüchtige.
Spontan wollte Teddy sich ihnen anschließen, da hörte er ein Flüstern:
»Laeddis.«
Teddy stand mitten im Gang und wartete, ob er es noch einmal hörte. Nichts. Das vereinte Stöhnen, vorübergehend unterbrochen durch die Verfolgung des kleinen Rothaarigen, schwoll wieder an, begann als Summen über dem gelegentlichen Klappern der Bettpfannen.
Teddy dachte an die gelben Tabletten. Wenn Cawley einen Verdacht hatte, einen ernsten Verdacht hatte, dass er und Chuck –
»Laed-dis.«
Teddy fuhr herum und musterte die drei Zellen zu seiner Rechten. Alle dunkel. Teddy wartete, denn er wusste, dass der Flüsterer ihn sehen konnte. Ob es Laeddis persönlich war?
»Du wolltest mich retten.«
Es kam entweder aus der mittleren oder aus der linken Zelle. Es war nicht Laeddis’ Stimme. Auf keinen Fall. Dennoch kam sie ihm bekannt vor.
Teddy näherte sich den Gitterstäben der mittleren Zelle. In der Hosentasche fand er eine Schachtel Streichhölzer. Er riss das Streichholz über die raue Fläche. Die Flamme loderte auf. Teddy sah ein kleines Waschbecken und einen Mann mit eingefallenen Rippen, der auf dem Bett kniete und etwas an die Wand schrieb. Er schaute sich über die Schulter nach Teddy um. Es war nicht Laeddis. Diesen Mann hatte Teddy noch nie gesehen.
»Wären Sie so nett? Ich arbeite lieber im Dunkeln. Vielen Dank auch.«
Teddy zuckte zurück, warf einen Blick auf die linke Wand der Zelle und sah, dass sie mit Buchstaben bedeckt war, kein Zentimeter war mehr frei, Tausende von gedrungenen, exakten Zeilen. Die Wörter waren so klein, dass man sie nur lesen konnte, wenn man ganz nah davor stand.
Teddy ging zur nächsten Zelle. Das Streichholz erlosch, und die Stimme, nun ganz nah, sagte: »Du hast mich im Stich gelassen.«
Mit zitternder Hand riss Teddy das nächste Streichholz an. Das Holz zerbrach und fiel zu Boden.
»Du hast gesagt, ich müsste nie mehr hierhin zurück. Das hast du versprochen.«
Teddy versuchte, das nächste Hölzchen anzureißen, es fiel in die Zelle.
»Du hast gelogen.«
Das dritte Streichholz zischte über die Reibefläche, die Flamme loderte bis zu Teddys Fingern hoch. Er hielt es ans Gitter und spähte in die Zelle. Der Mann, der links auf dem Bett saß, hatte den Kopf gesenkt, das Gesicht auf den Knien und die Arme um die Beine geschlungen. Er war kahl bis auf einen Kranz von graumelierten Haaren. Bekleidet war er lediglich mit weißen Boxershorts. Er zitterte am ganzen Leibe.
Teddy befeuchtete Lippen und Gaumen. »Hallo?«, fragte er in die Zelle.
»Sie haben mich zurückgeholt. Sie sagen, ich gehöre ihnen.«
»Ich kann Ihr Gesicht nicht sehen.«
»Sie sagen, ich wäre jetzt zu Hause.«
»Könnten Sie kurz den Kopf heben?«
»Sie sagen, das hier wäre mein Zuhause. Ich darf nie wieder fort.«
»Ich möchte Ihr Gesicht sehen.«
»Warum?«
»Ich möchte Ihr Gesicht sehen.«
»Erkennst du mich nicht an der Stimme? Wir haben uns so oft unterhalten.«
»Heben Sie den Kopf!«
»Ich habe mir gerne eingeredet, dass uns mehr verbunden hat als die Arbeit. Dass wir so was wie Freunde geworden sind. Das Streichholz wird übrigens gleich erlöschen.«
Teddy sah die nackte Haut, die zitternden Glieder.
»Ich sage Ihnen eins, mein Freund –«
»Was? Was sagst du mir? Was willst du mir schon sagen? Ist doch alles gelogen, was du sagst.«
»Ich bin kein –«
»Du bist ein Lügner.«
»Nein, bin ich nicht. Heben Sie den –«
Die Flamme erreichte die Spitzen von Zeigefinger und Daumen. Teddy ließ das Streichholz fallen.
Die Zelle verschwand im Dunkeln. Teddy hörte, dass die Bettfedern quietschten,
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