Shutter Island
Natürlich beobachtete ihn niemand. In Als Augen war er nur ein Pfleger. Noyce litt an Verfolgungswahn. Verständlich – wem würde es an Noyce’ Stelle nicht so gehen? –, aber trotzdem war er paranoid.
Al ging weiter, und Teddy drehte den Knauf und öffnete die Tür. Diesmal standen keine Pfleger oder Wärter auf dem Treppenabsatz und warteten auf ihn. Er war allein. Völlig allein. Unbeobachtet. Er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, ging die Treppe hinunter und traf Chuck an der Biegung, wo sie zuvor auf Baker und Vingis gestoßen waren. Chuck hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und nahm kurze, tiefe Züge. Als er Teddy sah, lief er sofort los.
»Ich dachte, wir würden uns im Saal treffen.«
»Die sind hier«, sagte Chuck, als Teddy ihn eingeholt hatte. Gemeinsam betraten sie den gewaltigen Raum.
»Wer?«
»Der Direktor und Cawley. Geh einfach weiter. Wir müssen hier raus.«
»Haben sie dich gesehen?«
»Weiß ich nicht. Ich kam gerade zwei Etagen höher aus dem Archiv. Hab sie am anderen Ende des Ganges gesehen. Cawley hat sich umgeguckt, und ich bin direkt durch den Notausgang ins Treppenhaus.«
»Dann haben sie sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht.«
Inzwischen rannte Chuck beinahe. »Ein Pfleger, der in Regenmantel und Rangerhut aus dem Archiv in der Verwaltung kommt? Nö, bestimmt kein Problem.«
Über ihnen gingen nach und nach unter lautem Knacken die Lichter an, es klang wie unter Wasser brechende Knochen. Elektrische Entladungen summten, dann erscholl ein Schreien, Pfeifen und Heulen. Kurz schien sich das Gebäude zu heben und wieder zu senken. Alarmglocken schrillten durch Steinböden und Mauern.
»Strom ist wieder da. Wie schön«, sagte Chuck und ging ins Treppenhaus.
Vier Wärter kamen ihnen entgegen. Teddy und Chuck drückten sich an die Wand und ließen die Männer vorbei.
Der Wärter am Kartentisch war noch da, er telefonierte und schaute sie mit leicht glasigen Augen an. Dann wurde sein Blick klarer, und er sagte: »Moment mal kurz« in den Hörer. Teddy und Chuck auf der untersten Stufe rief er zu: »He, ihr da, einen Moment mal.«
Im Eingangsbereich herrschte ein unübersichtliches Durcheinander – Pfleger, Wärter, zwei schlammbedeckte Patienten mit Fußfesseln. Teddy und Chuck mischten sich sofort darunter, wichen einem Mann aus, der sich rückwärts bewegte und Chucks Brust mit seiner Kaffeetasse gefährlich nahe kam.
Wieder rief der Wärter: »He! Ihr beiden! He da!«
Sie verlangsamten ihre Schritte nicht. Teddy merkte, dass sich einige umschauten, weil sie den Wärter erst jetzt hörten und sich fragten, wem er hinterherrief.
Nur noch eine Frage von Sekunden, bis man ihn und Chuck entdeckte.
»Stehen bleiben, hab ich gesagt!«
Teddy drückte gegen die Tür.
Sie bewegte sich nicht.
»He!«
Er sah den Messingknauf, eine Ananas wie in Cawleys Haus. Sie war nass vom Regen.
»Ich muss mit Ihnen reden!«
Teddy drehte am Knauf und stieß die Tür auf. Zwei Wärter kamen ihnen von draußen entgegen. Teddy wich ihnen aus und hielt Chuck die Tür auf. Chuck kam heraus, und der linke Wärter nickte ihm dankend zu. Zusammen mit seinem Kollegen betrat er den Eingangsbereich. Teddy ließ die Tür los und ging mit Chuck die Stufen hinunter.
Links stand eine Gruppe identisch gekleideter Männer im Nieselregen, rauchte und trank Kaffee. Einige lehnten sich gegen das Mauerwerk, sie machten Witze, bliesen Qualm in die Luft. Teddy und Chuck liefen auf die Gruppe zu, ohne sich umzusehen. Sie warteten auf das Geräusch der sich öffnenden Tür, auf erneute Rufe.
»Laeddis gefunden?«, fragte Chuck.
»Nein. Aber Noyce.«
»Was?«
»Du hast richtig gehört.«
Sie nickten den Männern zu. Lächeln, Winken, einer von ihnen gab Teddy Feuer, dann gingen sie weiter an der Außenmauer entlang, immer weiter, die Mauer schien eine Viertelmeile lang zu werden, unbeirrt schritten sie voran, und dann ertönten Rufe, möglicherweise rief man nach ihnen, aber sie liefen weiter, und sie wussten, siebzehn Meter über ihnen ragten Gewehrläufe über die Zinnen.
Am Ende des Gebäudes stapften sie nach links auf eine sumpfige grüne Wiese. Der Zaun war teilweise bereits ausgebessert worden, Männer füllten die Löcher für die Pfähle mit flüssigem Beton. Teddy und Chuck sahen, dass fast der gesamte Zaun schon wieder stand. Es gab keinen Ausweg für sie.
Sie machten kehrt und kamen wieder hinter dem Gebäude hervor. Teddy wusste, sie konnten nur geradeaus. Zu
Weitere Kostenlose Bücher