Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
viele Augen würden merken, wenn sie nicht an den Wachen vorbei, sondern in eine andere Richtung gingen.
    »Wir ziehen das durch, Chef, ja?«
    »Da kannst du Gift drauf nehmen.«
    Teddy nahm den Hut ab, Chuck tat es ihm nach, dann zogen sie die Regenmäntel aus, legten sie sich über den Arm und stapften durch den Regen. Der Wärter von vorher schaute ihnen entgegen, und Teddy sagte zu Chuck: »Nicht langsamer werden.«
    »Okay.«
    Teddy versuchte, die Miene des Mannes zu lesen. Sie war ausdruckslos. Teddy fragte sich, ob er sich langweilte oder auf eine Konfrontation vorbereitete.
    Teddy winkte im Vorbeigehen, und der Wärter sagte: »Jetzt sind Lkws da.«
    Teddy drehte sich im Gehen um und fragte: »Lkws?«
    »Ja, mit denen ihr rüberfahren könnt. Wartet doch, vor fünf Minuten ist einer losgefahren. Müsste jeden Moment zurück sein.«
    »Nein, nein. Gehen ist gesünder.«
    Kurz flackerte es im Gesicht des Wärters auf. Möglicherweise bildete sich das Teddy nur ein, aber vielleicht roch dieser Wärter sofort, wenn etwas faul war.
    »Wiedersehn.« Teddy ging zusammen mit Chuck auf die Bäume zu. Er spürte den Blick des Wärters im Rücken, den Blick der ganzen Festung. Vielleicht standen Cawley und der Direktor in diesem Moment auf der Haustreppe oder auf dem Dach. Und beobachteten sie.
    Sie erreichten die ersten Bäume. Niemand rief sie, niemand gab einen Warnschuss ab. Sie verschwanden zwischen dicken Baumstämmen und Laubbergen.
    »Du liebe Güte«, sagte Chuck. »Oje, oje, oje.«
    Teddy setzte sich auf einen Felsblock. Er war schweißgebadet, weißes Hemd und Hose waren tropfnass, aber er freute sich. Sein Herz klopfte noch immer, seine Augen juckten, Schultern und Nacken kribbelten, aber abgesehen von der Liebe war es das tollste Gefühl der Welt.
    Entkommen zu sein.
    Er schaute Chuck an, so lange, bis beide lachen mussten.
    »Ich geh um die Ecke, und plötzlich steht der Zaun wieder«, sagte Chuck. »O Scheiße, Teddy, ich dachte, das war’s.«
    Teddy legte sich auf den Felsblock, er fühlte sich so frei wie nur früher als Kind. Er sah zu, wie der Himmel hinter rauchgrauen Wolken erschien, und spürte die Luft auf der Haut. Er roch feuchtes Laub, dampfende Erde, nasse Rinde und hörte das letzte schwache Tröpfeln des Regens. Er wollte die Augen schließen und auf der anderen Seite des Hafens aufwachen, in Boston, in seinem Bett.
    Fast wäre er eingenickt, da erst fiel ihm auf, wie müde er war. Er setzte sich hin, fischte eine Zigarette aus der Brusttasche und ließ sich von Chuck Feuer geben. Dann ließ er sich auf die Knie fallen und sagte: »Wir müssen davon ausgehen, dass sie herausfinden, dass wir drin gewesen sind. Falls sie es nicht schon wissen.«
    Chuck nickte. »Baker knickt bei einer Befragung mit Sicherheit ein.«
    »Der Wärter an der Treppe, der hat, glaube ich, Lunte gerochen.«
    »Oder er wollte einfach nur, dass wir uns austragen.«
    »So oder so: Man wird sich an uns erinnern.«
    Das Nebelhorn von Boston Light stöhnte über das Hafengebiet, ein Geräusch, das Teddy allabendlich während seiner Kindheit in Hull gehört hatte. Der einsamste Ton, den er sich vorstellen konnte. Augenblicklich wollte man etwas im Arm halten, einen Menschen, ein Kopfkissen, sich selbst.
    »Noyce, hast du gesagt?«, fragte Chuck.
    »Ja.«
    »Er ist tatsächlich hier?«
    »In Fleisch und Blut.«
    »Um Himmels willen, Teddy, wie kann das sein?«, fragte Chuck.
    Und Teddy erzählte ihm von Noyce, von den Schlägen, die er bekommen hatte, von seiner Feindseligkeit gegenüber Teddy, von seiner Angst, seinen zitternden Gliedern, seinem Weinen. Er erzählte Chuck alles, nur nicht, was Noyce über Chuck gesagt hatte. Und Chuck hörte zu, nickte gelegentlich, beobachtete Teddy, wie ein Kind einen Gruppenleiter am Lagerfeuer ansieht, der spätnachts die Geschichte vom Buhmann zum Besten gibt.
    Was war es auch anderes, fragte Teddy sich nun langsam, als eine Gruselgeschichte.
    Dann fragte Chuck: »Und, glaubst du ihm?«
    »Ich glaube, dass Laeddis hier ist. Daran besteht kein Zweifel.«
    »Aber er könnte einen Nervenzusammenbruch gehabt haben. Einen echten, meine ich. Immerhin hat er eine entsprechende Vergangenheit. Es könnte alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Er ist im Gefängnis, dreht durch, und sie sagen: ›He, der Typ war schon mal in Ashecliffe. Schicken wir ihn wieder hin.‹«
    »Möglich ist das«, sagte Teddy. »Aber beim letzten Mal machte er einen absolut gesunden Eindruck auf mich.«
    »Wann

Weitere Kostenlose Bücher