Sibirische Erziehung
als letztes Mittel gilt, um Genugtuung zu bekommen: Jeder, der daran teilnimmt, kennt von vornherein das Risiko, das er eingeht. Aber wenn einer dabei entdeckt wird, wie er einen Torpedo losschickt, muss er laut Gesetz getötet werden, weil er die Regeln der Schlägerei verletzt hat und dieses Verhalten als Mord ausgelegt wird. Der vorsätzliche Mord an einem Kollegen, einem Kriminellen, gilt als Feigheit. Die kriminelle Würde des Mörders erlischt in diesem Moment, und in diesem Punkt ist das Gesetz der Kriminellen unmissverständlich: »Wenn die Würde des Kriminellen stirbt, stirbt auch der Kriminelle.«
Damals in der Disko waren wir klar in der Unterzahl. Die Georgier wollten uns niedermachen und den Torpedo auf Gauner hetzen, aber sie hatten Pech: Nachdem der Zirkus, den sie so sorgfältig für uns vorbereitet hatten, ein paar Minuten gedauert hatte, griffen die Jungs aus dem Zentrum ein, dem Viertel, in dem wir uns befanden. Sie übten ihr Recht als »Hausherren« aus und befahlen, die Schlägerei zu beenden.
Genau in diesem Augenblick stürzte sich der Torpedo der Georgier vor aller Augen auf Gauner und versuchte ihn niederzustechen, aber Gauner konnte den Stoß parieren. Der Torpedo fiel zu Boden und begann in seiner Sprache zu brüllen, er ignorierte die Aufforderungen der Hausherrn, sich zu beruhigen und das Messer wegzulegen. Schließlich verletzte er sogar einen Jungen aus dem Zentrum an der Hand, obwohl der ihn nur aufgefordert hatte, ihm das Messer zu geben.
Etwa drei Sekunden später fielen die Leute aus dem Zentrum rund dreißig Mann stark über die Georgier her und metzelten sie gnadenlos nieder.
Wir erklärten ihnen die Situation, entschuldigten uns und traten geordnet den Rückzug an, im Gepäck die Tracht Prügel, die wir eingesteckt hatten, und zahlreiche Schnittwunden.
Als wir in der Unterstadt angekommen waren, erzählten wir alles unserem Wart. Um unser Recht zu bekommen, brauchten wir einen unabhängigen Zeugen, also keinen von uns. Zum Glück sagten drei aus dem Zentrum vor den alten Autoritäten aus, dass sie den Torpedo mit eigenen Augen gesehen hatten.
Eine Woche später schickten die Sibirer ein Strafkommando in den Kaukasus, und es endete mit dem Tod von acht Georgiern, die an dem Komplott gegen Gauner beteiligt gewesen waren.
Natürlich verschlechterte diese böse Sache unser ohnehin schon schwieriges Verhältnis zu den Georgiern weiter.
Die Georgier begannen herumzuerzählen, wir Sibirer wären Mörder und hätten Unrecht.
Wir aber wussten, dass wir im Recht waren und dass sich die Situation zu unseren Gunsten geklärt hatte; außerdem war es uns ziemlich egal.
Im Unterschied zu den Georgiern waren die Armenier gute Freunde. Sie waren viel bescheidener und schlichter als die Georgier, vielleicht aus historischen Gründen, weil sie immer von irgendwem beherrscht worden waren. Selbst ihre Adligen, die bedeutenden Familien angehörten, waren weder arrogant noch von Stolz verblendet, und mit vielen machten wir Geschäfte. Die Armenier betrieben umfangreiche Schiebergeschäfte, zusammen mit derjüdischen Verbrechergemeinschaft kontrollierten sie den Edelsteinmarkt.
Ich war mit einem armenischen Jungen namens Spartak befreundet, dem Enkel eines alten Kriminellen, der Armen genannt wurde und seinerseits ein guter Freund meines Großvaters gewesen war: Sie hatten lange Zeit im selben Lager in Sibirien zugebracht.
Wir fuhren mit den Autos zu einem Lokal im Kaukasus, das »Labyrinth« hieß. Es war eine Art Bistro und hatte einen separaten Raum, wo man Billard oder Karten spielen konnte.
Begunok hatte gesagt, dass die Jungen, die ihm von der Geschichte bei den Telefonzellen erzählt hatten, die Söhne des Wirts waren. Das heißt, sie waren Georgier.
Als wir im Lokal ankamen, war es zwei Uhr nachts. Vor dem Lokal stand alles voller Autos, man hörte das Geschrei der Glücksspieler bis draußen – georgisches Geschrei, vermischt mit einer Flut russischer Schimpfwörter mit georgisch abgewandelten Endungen.
Wir stiegen aus den Autos – unsere Fahrer sagten, dass sie zur Sicherheit den Motor laufen lassen würden – und gingen alle Mann rein.
Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke: ein Haufen minderjähriger Rotznasen, die nicht nur dreist in einem Viertel rumlaufen, in dem eine Menge Leute ihren Tod wollen, sondern die auch noch in ein Lokal gehen, in dem es von echten Kriminellen wimmelt, die weit gefährlicher sind als sie selbst. Aber wir hatten
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