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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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befreit waren, und warf beide Arme um Rouven. Auch sie hatte Tränen der Rührung in den Augen. »Ich hatte Angst«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Angst, dich nie wiederzusehen.«
    »Du hast mir gefehlt.« Von seiner Furcht, sich Tabitha nur eingebildet zu haben, sagte er ihr nichts. Er glaubte auch nicht mehr daran. Er hielt sie im Arm. Sie war hier. Und es fühlte sich gut an, das zu wissen.
    Sie schaute ihn an. »Es ist wieder passiert, oder?«, fragte sie und blickte auf seine Wunden.
    »Vorhin bin ich aufgewacht. In diesem Haus. So wie immer. Aber wie kommst du hierher?«
    Sie machte ein betretenes Gesicht. »Ich kann es dir nicht sagen. Ähnlich wie du. Ich wurde wach und fand mich in diesem engen Raum wieder. Gefesselt. Und ich spürte, dass jemand bei mir war.Dass jemand hinter mir saß. Wie beim ersten Mal. Erinnerst du dich? Ich hatte dir davon erzählt.«
    Rouven nickte, und Tabitha fuhr fort: »Es war dieselbe Stimme, die mich ansprach. Wieder dicht am Ohr. Wieder kaum zu verstehen, aber doch eindeutig.«
    »Was hat sie dir gesagt, die Stimme?«
    Tabitha blickte in eine Ecke der Treppenkammer. »Er sagte, dass du weiterhin den Zeichen folgen sollst. Er nannte dich wieder den ›Wächter der Halle‹. Und er befahl mir, dir das hier zu geben.« Sie beugte sich vor und griff in die Ecke, in die sie geschaut hatte. Sie zog ein Buch hervor. In Leder gebunden. Auf der Vorderseite waren Symbole zu erkennen: eine Mondsichel und eine Vogelkralle. Beides war in das Leder hineingebrannt worden. Wie ein Brandzeichen. Es erinnerte Rouven an die Zeichen in seiner Haut.
    Er streckte beide Arme aus und nahm das Buch entgegen.
    »Du wirst verstehen, wenn du hineinschaust, hat der Mann gesagt«, erklärte Tabitha und fügte hinzu: »Du sollst aber nicht zögern.«

W as soll das Ganze?« Mayers war ohnehin kein geduldiger Mensch, aber heute Morgen stellte Bertoli ihn auf eine harte Probe. Ihnen war gerade ein Verdächtiger entlaufen. Doch statt Alarm zu schlagen und diesen Rouven zu suchen, standen sie nun in dem Sicherheitsraum und schauten sich Videos an. Aufnahmen von den Überwachungskameras vor dem Polizeigebäude. Nein, für so etwas fehlte Mayers jeder Sinn. Und Bertoli verschlimmerte das alles noch, indem er die Videos, die ihnen der Sicherheitskollege überlassen hatte, ohne Erklärung vorwärts und rückwärts spulte.
    »Was suchen Sie denn?« Mayers beschloss, Bertoli noch genau eine Minute zu geben, dann   …
    »Hier ist es!«, sagte Bertoli und stellte die Aufnahme auf Pause.
    Mayers und Tallwitz traten näher an den Bildschirm heran. Sie sahen eine schattenhafte Gestalt vor dem Haupteingang. Die Kamera dort hatte jemanden aufgenommen, der im Schatten der Bäume vor dem Gebäude stand.
    »Aha«, entfuhr es Mayers. »Und wieso soll mich das interessieren?«
    Bertoli drückte, statt einer Antwort zu geben, erneut die Play-Taste. Es dauerte wenige Sekunden, dann löste sich die Person aus dem Schatten der Bäume und kam auf das Gebäude zu. Mayers gingen die Augen über: »Das ist Rouven!«
    Tallwitz stand neben seinem Kollegen. Ihm fehlten die Worte. Er nickte bloß bekräftigend.
    Jetzt erst erkannte Mayers die Situation wieder. Nun ging ihm auf, dass er Rouven in dem Schatten hatte stehen sehen, als er am erstenAbend der Festnahme am Fenster gestanden und hinuntergesehen hatte. Diese Aufnahme musste unmittelbar vor Mayers’ und Tallwitz’ Besuch bei Rouven entstanden sein. Ein Blick auf Datum und Uhrzeit am Rande des Bildschirms bestätigten Mayers’ Verdacht. All das verblüffte den Kommissar nur noch mehr.
    »Das ist unmöglich«, sagte er. »Das muss ein Fehler im System sein. Die Aufnahme ist ganz bestimmt älter. Zeit und Datum wurden falsch eingegeben und gespeichert. Oder aber   …«
    Bertoli begann wieder vorzuspulen.
    »Halt«, schrie Tallwitz. »Zeigen Sie uns noch einmal   …«
    Doch der Italiener winkte ab. »Geduld. Ich habe Ihnen noch etwas zu zeigen.«
    »Noch etwas?« Tallwitz blickte Bertoli zweifelnd an.
    »Sekunde«, bat der Polizist und erklärte: »Diese Bänder schaut sich normalerweise niemand an. Warum auch? Erst, wenn es Auffälligkeiten gibt oder einen Alarm oder einen Ausbruch oder einen Verdacht, der unmittelbar mit unserem Gebäude zu tun hat, dann werden diese Bänder hervorgenommen. Und deshalb war auch niemandem bisher etwas aufgefallen.«
    Er stoppte wieder das Gerät und drückte erneut auf Play. Ohne ein weiteres Wort zeigte Bertoli seinen Kollegen eine Aufnahme, die

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