Siddharta
Mund wie eine frisch aufge-
brochene Feige, Augenbrauen gepflegt und gemalt in hohen
Bogen, dunkle Augen klug und wachsam, lichten hohen Hals
aus grün und goldenem Oberkleide steigend, ruhende helle
Hände lang und schmal mit breiten Goldreifen über den
Gelenken.
Siddhartha sah, wie schön sie war, und sein Herz lachte.
Tief verneigte er sich, als die Sänfte nahe kam, und sich
wieder aufrichtend blickte er in das helle holde Gesicht, las
einen Augenblick in den klugen hochüberwölbten Augen,
atmete einen Hauch von Duft, den er nicht kannte. Lächelnd
nickte die schöne Frau, einen Augenblick, und verschwand
im Hain, und hinter ihr die Diener.
So betrete ich diese Stadt, dachte Siddhartha, unter einem
holden Zeichen. Es zog ihn, sogleich in den Hain zu treten,
doch bedachte er sich, und nun erst ward ihm bewußt, wie
ihn die Diener und Mägde am Eingang betrachtet hatten, wie
verächtlich, wie mißtrauisch, wie abweisend.
Noch bin ich ein Samana, dachte er, noch immer, ein
Asket und Bettler. Nicht so werde ich bleiben dürfen, nicht
so in den Hain treten. Und er lachte.
Den nächsten Menschen, der des Weges kam, fragte er
nach dem Hain und nach dem Namen dieser Frau, und erfuhr,
daß dies der Hain der Kamala war, der berühmten Kurtisane,
und daß sie außer dem Haine ein Haus in der Stadt besaß.
Dann betrat er die Stadt. Er hatte nun ein Ziel.
Sein Ziel verfolgend, ließ er sich von der Stadt einschlür-
fen, trieb im Strom der Gassen, stand auf Plätzen still, ruhte
auf Steintreppen am Flusse aus. Gegen den Abend
befreundete er sich mit einem Barbiergehilfen, den er im
Schatten eines Gewölbes hatte arbeiten sehen, den er betend
in einem Tempel Vishnus wiederfand, dem er von den
Geschichten Vishnus und der Lakschmi erzählte. Bei den
Booten am Flusse schlief er die Nacht, und früh am Morgen,
ehe die ersten Kunden in seinen Laden kamen, ließ er sich
von dem Barbiergehilfen den Bart rasieren und
das Haar beschneiden, das Haar kämmen und mit feinem Öle
salben. Dann ging er im Flusse baden.
Als am Spätnachmittag die schöne Kamala in der Sänfte
sich ihrem Haine näherte, stand am Eingang Siddhartha, ver-
beugte sich und empfing den Gruß der Kurtisane. Demjenigen
Diener aber, der zuletzt im Zuge ging, winkte er und bat ihn,
der Herrin zu melden, daß ein junger Brahmane mit ihr zu
sprechen begehre. Nach einer Weile kam der Diener zurück,
forderte den Wartenden auf, ihm zu folgen, führte den ihm
Folgenden schweigend in einen Pavillon, wo Kamala auf einem
Ruhebette lag, und ließ ihn bei ihr allein.
»Bist du nicht gestern schon da draußen gestanden und
hast mich begrüßt?« fragte Kamala.
»Wohl habe ich gestern schon dich gesehen und begrüßt.«
»Aber trugst du nicht gestern einen Bart, und lange Haare,
und Staub in den Haaren?«
»Wohl hast du beobachtet, alles hast du gesehen. Du hast
Siddhartha gesehen, den Brahmanensohn, welcher seine
Heimat verlassen hat, um ein Samana zu werden, und drei
Jahre lang ein Samana gewesen ist. Nun aber habe ich jenen
Pfad verlassen, und kam in diese Stadt, und die erste, die mir
noch vor dem Betreten der Stadt begegnete, warst du. Dies zu
sagen, bin ich zu dir gekommen, o Kamala! Du bist die erste
Frau, zu welcher Siddhartha anders als mit niedergeschlagenen
Augen redet. Nie mehr will ich meine Augen niederschlagen,
wenn eine schöne Frau mir begegnet.«
Kamala lächelte und spielte mit ihrem Fächer aus Pfauenfe-
dern. Und fragte: »Und nur um mir dies zu sagen, ist Sid-
dhartha zu mir gekommen?«
»Um dir dies zu sagen, und um dir zu danken, daß du so
schön bist. Und wenn es dir nicht mißfällt, Kamala, möchte
ich dich bitten, meine Freundin und Lehrerin zu sein, denn
ich weiß noch nichts von der Kunst, in welcher du Meisterin
bist.«
Da lachte Kamala laut.
»Nie ist mir das geschehen, Freund, daß ein Samana aus
dem Walde zu mir kam und von mir lernen wollte! Nie ist
mir das geschehen, daß ein Samana mit langen Haaren und in
einem alten zerrissenen Schamtuche zu mir kam! Viele Jüng-
linge kommen zu mir, und auch Brahmanensöhne sind dar-
unter, aber sie kommen in schönen Kleidern, sie kommen in
feinen Schuhen, sie haben Wohlgeruch im Haar und Geld in
den Beuteln. So, du Samana, sind die Jünglinge beschaffen,
welche zu mir kommen.«
Sprach Siddhartha: »Schon fange ich an, von dir zu lernen.
Auch gestern schon habe ich gelernt. Schon habe ich den Bart
abgelegt, habe das Haar
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