Siddharta
deinen Hain kam, tat ich den ersten
Schritt. Es war mein Vorsatz, bei dieser schönsten Frau die
Liebe zu lernen. Von jenem Augenblick an, da ich den
Vorsatz faßte, wußte ich auch, daß ich ihn ausführen werde.
Ich wußte, daß du mir helfen würdest, bei deinem ersten
Blick am Eingang des Haines wußte ich es schon.«
»Wenn ich aber nicht gewollt hätte?«
»Du hast gewollt. Sieh, Kamala: wenn du einen Stein ins
Wasser wirfst, so eilt er auf dem schnellsten Wege zum
Grunde des Wassers. So ist es, wenn Siddhartha ein Ziel,
einen Vorsatz hat. Siddhartha tut nichts, er wartet, er denkt,
er fastet, aber er geht durch die Dinge der Welt hindurch
wie der Stein durchs Wasser, ohne etwas zu tun, ohne sich
zu rühren; er wird gezogen, er läßt sich fallen. Sein Ziel
zieht ihn an sich, denn er läßt nichts in seine Seele ein, was
dem Ziel widerstreben könnte. Das ist es, was Siddhartha
bei den Samanas gelernt hat. Es ist das, was die Toren Zau-
ber nennen und wovon sie meinen, es werde durch die Dä-
monen bewirkt. Nichts wird von Dämonen bewirkt, es gibt
keine Dämonen. Jeder kann zaubern, jeder kann seine Ziele
erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann,
wenn er fasten kann.«
Kamala hörte ihm zu. Sie liebte seine Stimme, sie liebte
den Blick seiner Augen.
»Vielleicht ist es so«, sagte sie leise, »wie du sprichst,
Freund. Vielleicht ist es aber auch so, daß Siddhartha ein
hübscher Mann ist, daß sein Blick den Frauen gefällt, daß
darum das Glück ihm entgegenkommt.«
Mit einem Kuß nahm Siddhartha Abschied. »Möge es so i
sein, meine Lehrerin. Möge immer mein Blick dir gefallen,
möge immer von dir mir Glück entgegenkommen!«
Bei den Kindermenschen
Siddhartha ging zum Kaufmann Kamaswami, in ein reiches
Haus ward er gewiesen, Diener führten ihn zwischen kostbaren
Teppichen in ein Gemach, wo er den Hausherrn erwartete.
Kamaswami trat ein, ein rascher, geschmeidiger Mann mit
stark ergrauendem Haar, mit sehr klugen, vorsichtigen
Augen, mit einem begehrlichen Mund. Freundlich begrüßten
sich Herr und Gast.
»Man hat mir gesagt«, begann der Kaufmann, »daß du ein
Brahmane bist, ein Gelehrter, daß du aber Dienste bei einem
Kaufmann suchst. Bist du denn in Not geraten, Brahmane,
daß du Dienste suchst?«
»Nein«, sagte Siddhartha, »ich bin nicht in Not geraten
und bin nie in Not gewesen. Wisse, daß ich von den Samanas
komme, bei welchen ich lange Zeit gelebt habe.«
»Wenn du von den Samanas kommst, wie solltest du da
nicht in Not sein? Sind nicht die Samanas völlig besitzlos?«
»Besitzlos bin ich«, sagte Siddhartha, »wenn es das ist, was
du meinst. Gewiß bin ich besitzlos. Doch bin ich es freiwillig, bin also nicht in Not.«
»Wovon aber willst du leben, wenn du besitzlos bist?«
»Ich habe daran noch nie gedacht, Herr. Ich bin mehr als
drei Jahre besitzlos gewesen, und habe niemals daran ge-
dacht, wovon ich leben solle.«
»So hast du vom Besitz anderer gelebt.«
»Vermutlich ist es so. Auch der Kaufmann lebt ja von der
Habe anderer.«
»Wohl gesprochen. Doch nimmt er von den ändern das
Ihre nicht umsonst; er gibt ihnen seine Waren dafür.«
»So scheint es sich in der Tat zu verhalten. Jeder nimmt, jeder gibt, so ist das Leben.«
»Aber erlaube: wenn du besitzlos bist, was willst du ge-
ben?«
»Jeder gibt, was er hat. Der Krieger gibt Kraft, der Kauf-
mann gibt Ware, der Lehrer Lehre, der Bauer Reis, der Fi-
scher Fische.«
»Sehr wohl. Und was ist es nun, was du zu geben hast?
Was ist es, das du gelernt hast, das du kannst?«
»Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten.«
»Das ist alles?«
»Ich glaube, es ist alles!«
»Und wozu nützt es? Zum Beispiel das Fasten - wozu ist es
gut?«
»Es ist sehr gut, Herr. Wenn ein Mensch nichts zu essen
hat, so ist Fasten das Allerklügste, was er tun kann. Wenn,
zum Beispiel, Siddhartha nicht fasten gelernt hätte, so müßte
er heute noch irgendeinen Dienst annehmen, sei es bei dir
oder wo immer, denn der Hunger würde ihn dazu zwingen.
So aber kann Siddhartha ruhig warten, er kennt keine Unge-
duld, er kennt keine Notlage, lange kann er sich vom Hunger
belagern lassen und kann dazu lachen. Dazu, Herr, ist Fasten
gut.«
»Du hast recht, Samana. Warte einen Augenblick.«
Kamaswami ging hinaus und kehrte mit einer Rolle wie-
der, die er seinem Gaste hinreichte, indem er fragte: »Kannst
du dies lesen?«
Siddhartha betrachtete die Rolle, in welcher ein
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