Sie haben mich verkauft
gewesen? Sie würden schnell herausfinden, dass ich illegal hier war, und mich ins Gefängnis stecken. Ich hatte nur noch Angst.
Ich wurde in einen Raum gebracht, in dem zwei Polizeibeamte saßen. Der eine hielt einen Stift in der Hand, während der andere mir Fragen stellte.
»Also, wieso haben Sie diese Frau nun angegriffen?«, fragte er.
»Das habe ich gar nicht.«
»Sie hatten doch ein Messer.«
»Ich habe gerade Sandwiches gemacht. Wir haben uns gestritten, und sie ist gestolpert und gefallen. Ich habe sie nicht angerührt.«
Skeptisch musterte mich der Mann. »Und wie heißen Sie?«, fragte er.
»Alexandra Kolesnikowa«, log ich.
»Geburtsdatum?«
Ich erfand ein Datum. »26. April 1971.«
»Was tun Sie hier in Großbritannien? Haben Sie eine Aufenthaltsgenehmigung?«
»Nein.«
»Und wo ist Ihr Ausweis?«
Ich bedeckte das Gesicht mit den Händen und fing an zu weinen. Jetzt hatte ich wirklich Angst.
»Können Sie sich irgendwie ausweisen?«
Ich schwieg. Es entstand eine lange Pause. Ich versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, und schaute die beiden Polizisten an.
»Na schön. Das ist jetzt eine Sache für die Einwanderungsbehörde«, sagte der eine langsam. »Da muss jemand anders mit Ihnen reden.«
Sie verließen den Raum, und es dauerte weitere drei Stunden, bis jemand kam. Diesmal waren es eine junge Frau und ein Mann, die sich mir als Beamte von der Einwanderungsbehörde vorstellten. Mit ihnen war auch eine Dolmetscherin gekommen, die die Fragen der beiden übersetzte. Wer war ich? Wann war ich nach England gekommen? Wieso war ich hier? Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ihnen meine Geschichte erzählen und hoffen, sie würden Mitleid mit mir haben? Oder lügen und hoffen, sie würden mir glauben?
Ich hatte keine Wahl. Ich musste ihnen die Wahrheit sagen und darauf vertrauen, dass sie mich gehen ließen. Ich fing wieder an zu weinen, in meinem Kopf pochte es, und mein Mund fühlte sich ausgetrocknet an. »Ich wurde von einem Mann in dieses Land gebracht, der mich gezwungen hat, als Prostituierte zu arbeiten«, flüsterte ich. »Vor knapp zwei Jahren wurde ich entführt und von Gangstern verkauft. Dieser eine Mann hat mich gekauft und dafür gesorgt, dass wir beide hergebracht wurden. Erst musste ich in Birmingham arbeiten, aber nach ein paar Monaten hat er mich nach London gebracht, weil er sagte, es sei dort mehr Geld drin. Ich musste meinen Körper an Männer verkaufen und ihm alles Geld geben; eigenes Geld durfte ich nicht haben. Es gelang mir, von ihm wegzulaufen, aber seitdem musste ich in Saunas und Massagesalons arbeiten, um durchzukommen.«
Sie hörten wortlos zu und zeichneten alles auf Tonband auf.
»Bitte lassen Sie mich gehen«, bettelte ich.
Sie antworteten nicht, nahmen nur meine Fingerabdrücke und verließen dann den Raum. Eine Viertelstunde lang saß ich allein da, zu Tode erschrocken. War es richtig gewesen,ihnen die Wahrheit zu sagen? Würde ich jetzt ins Gefängnis kommen?
Eine Viertelstunde später kehrte die Frau zurück und gab mir einen Brief, darauf der Vermerk Einwanderungsbehörde und eine Telefonnummer.
»Wir werden Sie nicht hierbehalten«, erklärte sie mir. »Aber Sie befinden sich illegal in diesem Land, und deshalb müssen Sie sich jetzt bei der Einwanderungsbehörde melden, um bleiben zu dürfen. Sie müssen diesen Brief nehmen, erklären, was Ihnen passiert ist, und die können Ihnen dann weiterhelfen.«
Ich verstand nicht. Wollte sie mich gehen lassen? Wie konnte sie das, nachdem sie doch wusste, dass ich das Gesetz gebrochen hatte?
»Wird man mich in mein Land zurückschicken?«, fragte ich.
»Das weiß ich nicht genau«, sagte die Frau. »Aber möglich wäre es.«
In dem Moment wurde mir klar, dass ich nicht zu dieser Einwanderungsbehörde gehen durfte. Ich konnte nicht riskieren, dass man mich in das schreckliche Leben zurückschickte, das mich in der Ukraine erwartete. Diese Leute hier hatten keine Ahnung, wer ich war oder woher ich kam. Ich würde einfach verschwinden.
Die Mädchen konnten es kaum fassen, als ich wieder in die Sauna zurückkam.
»Wie hast du das denn geschafft?«, fragten sie ungläubig.
»Ich weiß nicht«, sagte ich zu ihnen. »Ich weiß es einfach nicht.«
Ich war gerade noch einmal davongekommen, aber glücklich machte mich das nicht gerade. Die Wut, die seit Monaten in mir gekocht hatte, schien heftiger und gewaltiger zu werden,bis sie ganz von mir Besitz ergriff. Sie lebte in mir wie ein Dämon und
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