Sie haben mich verkauft
fragte er mich jedes Mal, wenn ich ins Hotel zurückkam.
Seine Nervosität hing in der Luft zwischen uns. Er wollte unbedingt verhindern, dass etwas oder jemand die Macht schmälerte, die er über mich hatte.
»Wir sind bei ihm im Haus geblieben. Was hast du denn gedacht?«, antwortete ich jedes Mal.
»Denk immer dran, dass ich dich mit dem Alten zusammen in seinem Bett verbrennen kann, wenn du Ärger machst«, sagte Ardy mir dauernd. »Ich habe überall Freunde, also komm nicht auf irgendwelche Ideen. Wir werden wissen, was du gemacht hast und wohin du gehen wirst, wenn du versuchst abzuhauen.«
Ich begriff, dass er sich Sorgen machte, weil ich Freundschaft mit jemandem geschlossen hatte, der mir womöglich helfen konnte, vor Ardy zu fliehen. Mir war noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass Roberto für mich eine Möglichkeit zur Flucht darstellte – ich sah in ihm einfach nur einen Quell der Freundlichkeit in einem Leben, das ohne jede Liebe war.
»Ich werde nicht abhauen«, antwortete ich. »Mir gefällt es hier mit dir, Ardy. Das weißt du doch.«
Ich wusste, es war wichtig, dass Ardy an meine Loyalität ihm gegenüber glaubte.
Die Zeit, die ich mit Roberto verbrachte, machte mich nicht glücklich – sie machte mich einfach weniger unglücklich. Ich war froh, weil ich dann wenigstens nicht in der Eiseskälte auf der Straße stand und weil Roberto mich respektierte – er bedankte sich, wenn er mich berührt hatte, kochte für mich und ließ nie zu, dass ich den Abwasch machte. Nach ein paar Wochen fing er an, mit mir auszugehen. Manchmal durfte ich mirwas zum Anziehen kaufen, oder wir gingen in ein Restaurant, und einmal fuhr er mit mir nach Venedig. Es war so schön – die große Piazza San Marco mit der mächtigen Kirche, die auf den Platz herabsah, die Geschäfte, in denen Masken verkauft wurden, die Boote, die auf dem Wasser dahinglitten. Es war wie ein verzauberter Ort, und während ich alles anschaute, sah ich andere junge Frauen in der Menge. Waren einige von ihnen wie ich? Es fiel mir schwer zu glauben, dass irgendjemand außer mir so einsam war, wie ich mich fühlte.
Die Wochen vergingen, und Roberto fing an, mir Fragen zu stellen. »Also, für wen arbeitest du? Die meisten ausländischen Mädchen hier arbeiten für Albaner.«
»Da gibt es keinen«, sagte ich dann oft, aber ich war sicher, er ahnte, dass ich log.
Doch Roberto bedrängte mich nie, und vielleicht erzählte ich ihm gerade deshalb ein wenig von meiner Geschichte, als wir eines Abends nach dem Essen wieder einmal zusammensaßen.
Roberto schien nicht schockiert zu sein. Ich glaube, er kannte noch andere Mädchen wie mich. »Du darfst keine Angst haben«, sagte er. »Du könntest bei mir wohnen, ich kann dir helfen.«
»Nein«, antwortete ich ihm. »Das würde wirklich nicht gehen. Ardy weiß, wer du bist und wo du wohnst. Er hat viele Freunde – die würden dich einfach nicht in Ruhe lassen, und er würde mich nie im Leben aufgeben. Eher bringt er mich um, als mich gehen zu lassen, da bin ich mir sicher. Außerdem schulde ich ihm viel Geld, und er hat gedroht, er tut meinen Kindern etwas an, wenn ich nicht alles zurückzahle.«
Roberto schien mich zu verstehen. »Ich wusste gar nicht, dass du Kinder hast. Wo leben sie?«
Ich erzählte ihm ein bisschen etwas über Sascha, Pascha und Luda.
»Du musst sie sehr vermissen. Wie viel schuldest du ihm?«
»In englischem Geld viertausend Pfund.« Als ich das sagte, kam es mir wie eine unmögliche Summe vor, mehr Geld, als ich mir je erträumen konnte.
Roberto seufzte. »Das kann ich mir nicht leisten. Aber lass mich wenigstens etwas für deine Kinder zu dir nach Hause schicken. Wie lange ist es denn her, dass du mit ihnen gesprochen hast? Du kannst das Telefon benutzen und deine Familie anrufen.«
Ich war sprachlos, konnte nur tief Luft holen.
Er lächelte mich an. »Dieses bisschen lass mich bitte tun, um dir zu helfen, Oxana. Du hast mir wahres Glück und großen Trost beschert, seit ich dich kenne – du weißt gar nicht, wie viel Glück und Trost. Ich möchte ein klein wenig davon zurückzahlen, an dich, nicht an deinen Boss. Einverstanden?«
Ich sah ihn an. Geld für die Kinder wäre herrlich, aber Ardy würde mich umbringen, wenn er das herausfand. Außerdem müsste ich Ira anrufen, um ihr zu sagen, dass Geld unterwegs war. Vor fünf Monaten hatte ich die Ukraine verlassen. Was sollte ich ihr sagen?
»Erlaubst du, dass ich das für dich tue?«, fragte Roberto
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