Sie haben sich aber gut gehalten!
Spülwasser, als Lotte wieder angewackelt kommt. Ihr Gesicht ist leicht gerötet und glänzt sauber. Na, wenigstens kann man sie jetzt ohne schräge Assoziationen anschauen.
Wie selbstverständlich greift sie nach dem Trockentuch. «Hab schon gehört, dass die Maschine streikt», sagt sie.
Oh nein, nicht schon wieder Anspielungen auf den gestrigen Abend, denke ich panisch, halte mich aber mit einem Kommentar zurück. «Nicht nötig, Lotte, dass du mir hilfst. Ich bin gleich fertig damit. Kümmere du dich lieber um deine Sachen. Oder sind deine Koffer schon gepackt?»
Fröhlich summend übergeht sie meine Frage und kümmert sich nicht um meine ängstlichen Kontrollblicke.
«Sag mal», beginnt sie plötzlich und hält in der Bewegung inne. «Kennst du das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, Liebchen? Als wäre dein Leben ein einziger Scherbenhaufen? Und du würdest alles geben, um nochmal von vorne anfangen zu können?»
Ich muss zugeben, diese Fragen irritieren mich weit mehr als jede Gesichtsmaske.
«Äh … na ja», antworte ich nervös und überlege, was sie mir wohl sagen will. Denn inzwischen fühle ich überdeutlich, dass die Bombe gleich explodieren wird.
«Also, zum Beispiel als Volker dich betrogen hat, warst du da nicht am Boden zerstört?»
Vor Schreck rutscht mir eine Tasse aus der Hand und platscht zurück ins Spülwasser. Seifenlaugenspritzer landen auf meiner Bluse. Mühsam quäle ich mir ein schiefes Grinsen ab. «Ach, weißt du, darüber denke ich nicht nach. Inzwischen sind wir gute Freunde. Ich habe ihm längst verziehen … Vorbei ist vorbei.»
Das ist zwar etwas übertrieben (Volker nervt mich in regelmäßigen Abständen ja immer noch), aber wozu sollte ich das ausgerechnet mit seiner Mutter bereden?
Ob unsere Ehe in ihren Augen ein großer Fehler war?, überlege ich weiter. Sie war ja selbst nie verheiratet. Die Ehe und der ganze bürgerliche Kram war unter den Hippies doch verpönt.
«Ich versuche nur …», erwidert sie zögernd. «Also, wie soll ich sagen –»
Ich kann das Ticken der Bombe jetzt laut und deutlich hören.
«Gerhard?», frage ich vorsichtig.
«Ja, Gerhard, dieser … dieser …» Mit angespannter Miene knüllt sie das feuchte Trockentuch zusammen und wirft es neben die Spüle.
«Was hat er denn Schlimmes angestellt?», frage ich unumwunden.
«Er hat mich betrogen …»
PENG !
«Scheiße!», entfährt es mir ungewollt. Und in diesem Moment tut mir Lotte wirklich leid. Sie scheint es auf ihre alten Hippie-Tage mit der Treue plötzlich genauer zu nehmen. Und ich kann nur zu gut verstehen, wie es sich anfühlt, von dem Menschen, den man liebt, so enttäuscht zu werden.
Gerade als ich ihr tröstend über den Rücken streichen will, höre ich, wie jemand die Haustür aufschließt. Das kann nur Volker sein. Er hat einen Schlüssel behalten, den er laut unseren Vereinbarungen aber nur in Notfällen benutzen darf.
Ob er vom Liebeskummer seiner Mutter weiß?, überlege ich und trockne mir schnell die Hände.
«Guten Morgen, die Damen!» Auf weißen Turnschuhen, in hellen Bundfaltenhosen und einer dunkelblauen Jeansjacke betritt Volker leichtfüßig die Küche. Seit die Beziehung mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Ruth offiziell ist, kleidet er sich betont jugendlich und trainiert regelmäßig im Fitnessstudio. Auf einundfünfzig schätzt man ihn jedenfalls nicht. Angesprochen auf seine panische Angst vorm Alter, streitet er diese natürlich vehement ab. Genauso wie die gefärbten Haare, die heute besonders ölig glänzen.
Er schenkt uns ein strahlendes Novocain-Lächeln, als wären wir seine Sprechstundenhilfen. Fehlt nur noch, dass er sich nach den Patienten erkundigt!
Erfreut streckt Lotte ihm die ausgebreiteten Arme entgegen. «Mein Sohn!», ruft sie theatralisch. «Wie schön, dass du es einrichten konntest.» Schmatzend küsst sie ihn auf beide Wangen und drückt ihn an die Brust.
«Tut mir leid, Mutter, dass ich dich gestern nicht vom Flughafen abholen konnte», entschuldigt er sich, «aber du weißt ja, die Praxis …»
Wie bitte? Ich denke, er wusste nichts von ihrer Ankunft?! Er ist noch keine fünf Minuten da, und schon krieg ich Ohrensausen.
«Jetzt setz dich doch erst mal.» Lotte spielt die Hausherrin und schiebt ihn ins Wohnzimmer. «Willst du was trinken?»
Volker lehnt das Angebot mit einem wehleidigen «Muss-gleich-wieder-in-die-Praxis-Gesicht» ab. «Ich habe leider nur ein paar Minuten Zeit», behauptet er und hockt sich
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