Sie haben sich aber gut gehalten!
schon mal das Dachgeschoss sowie die vorhandenen Möbel inspiziert, greife ich zum Telefon, um John anzurufen. Meine letzte Rettung. Er hat doch diesen Interessenten in seiner Kartei. Wenn dem Mann und seiner Familie das Haus gefällt und wir uns schnell über den Preis einigen, kann Lottes Großfamilien-Wahnsinn vielleicht noch verhindert werden. Es wäre doch gelacht, wenn ich mir meine schönen Zukunftspläne von einer Frau vermasseln lasse, die, streng genommen, nur noch eine Exverwandte ist. Für Charlie und Marie findet sich auch noch eine andere Lösung.
«Hallo, Rosy! Danke, dass du zurückrufst», meldet sich John etwas verhalten.
«John, ich muss dringend mir dir reden!»
«Bei mir ist es im Moment leider ziemlich ungünstig. Ich befinde mich nämlich gerade auf einer Wohnungsbesichtigung», erklärt er und schlägt ein Treffen am Abend vor. «Würde dir achtzehn Uhr passen? Da könnten wir uns ungestört in meinem Büro treffen. Oder ich kann zu dir rauskommen.»
«Danke, das ist sehr aufmerksam, John, aber du musst nicht extra herkommen», lehne ich höflich ab, weil ich mein Anliegen unter gar keinen Umständen in Lottes Beisein besprechen möchte. Sie würde sich garantiert einmischen und wieder alle Tatsachen verdrehen. Mir reicht das Chaos, das sie bisher angerichtet hat. «Ich würde mich lieber mit dir in deinem Büro treffen, wenn es dir recht ist.»
«Gerne. Bei der Gelegenheit kannst du dir auch gleich die Räumlichkeiten ansehen, falls dich die Makler-Branche eines Tages doch interessiert.» Er lacht und nennt mir eine Adresse im vornehmen Nymphenburg. «Also, ich freue mich, dich nachher zu sehen.»
«Ja, bis später», verabschiede ich mich. Wie sehr auch ich mich freue, behalte ich lieber für mich.
Kaum habe ich aufgelegt, taucht Lotte mit Charlie und Marie im Schlepptau auf.
«Gute Nachrichten?», fragt Lotte mit durchdringendem Blick. «Du siehst so zufrieden aus.»
«Äh … das war nur John», stammle ich und hoffe, dass sie sich mit dieser nichtssagenden Antwort zufriedengibt. Eilig wende ich mich daher an Charlie und Marie. «Na, wie gefällt es euch da oben unterm Dach?»
«Es ist wirklich sehr schön – und so viel Platz», antwortet Marie mit zarter Stimme.
Mein Sohn scheint nicht weniger begeistert. «Echt cool, Mama. Das Baby bekommt ein eigenes Zimmer, aus der Abstellkammer machen wir einen Kleiderschrank, und –»
«Und im Duschbad wäre sogar Platz für eine zweite Waschmaschine», kräht Lotte aufgeregt dazwischen.
Charlie umarmt Lotte und küsst sie herzhaft auf beide Wangen. «Danke, Soma, dass du uns das Dachgeschoss überlässt.»
«Ach was», wehrt sie generös ab. «Nicht der Rede wert. In einer Familie muss doch einer für den anderen da sein.» Mit den letzten Worten mustert sie mich.
Das ist doch die Höhe! Versucht sie mir etwa ein schlechtes Gewissen einzureden? Als wäre ich eine hartherzige Rabenmutter, die alle im Regen stehen lässt? Aber den Schuh werde ich mir nicht anziehen.
«Selbstverständlich!», stimme ich Lotte zu und denke, dass noch nicht aller Tage Abend ist.
Kurz nach sieben biege ich in die kleine Seitenstraße ein, in der sich Johns Büro befindet. Neben einem verträumten Café ist auf einer Fensterfront unschwer der Firmenschriftzug zu erkennen.
Nur wenige Meter vom Haus entfernt finde ich sofort einen Parkplatz. Der Abend fängt vielversprechend an, sinniere ich gut gelaunt beim Einparken.
Bevor ich aussteige, werfe ich noch einen Kontrollblick in den Rückspiegel. Eigentlich sehe ich ganz passabel aus, stelle ich zufrieden fest. Meine Frisur fällt locker, und die dunkelblaue Wimperntusche betont meine hellblauen Augen vorteilhaft. Ich ziehe den naturfarbenen Lippenstift nach und steige aus.
Noch den schmalen Rock meines marineblauen Kostüms glatt streichen, durchatmen und los. Mit weichen Knien laufe ich auf den halbhohen Pumps die wenigen Schritte zu Johns Büro. Ich muss gestehen, dass ich nervös bin wie ein Teenager vor dem ersten Rendezvous. Wie damals, als John und ich zum ersten Mal verabredet waren. Er war ein echter Filmfreak und wollte unbedingt den neuen Woody-Allen-Film
Der Stadtneurotiker
sehen. Doch wirklich viel haben wir von dem Streifen nicht mitbekommen.
Aber das ist alles Ewigkeiten her, sage ich mir. Und auch wenn ich mich noch gut an seine Küsse erinnere, ist das überhaupt kein Grund, sich verrückt zu machen. Ich meine, inzwischen bin ich eine erwachsene, lebenserfahrene Frau von knapp
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