Sie haben sich aber gut gehalten!
mich ständig an meine Pflichten erinnert. «Ich kann nicht einfach über Nacht wegbleiben.»
«Warum denn nicht?» John wird auf einmal ganz ernst. «Erst wenn ein geliebter Mensch fehlt, merkt man, wie sehr man ihn braucht. Ich kann das bestätigen.»
Seine verschlüsselte Liebeserklärung lässt mich wanken. Und beim nächsten Kuss schwindet mein Widerstand, als hätte Amor jegliche Willenskraft mit einem Pfeilhagel außer Gefecht gesetzt. «Ich bleibe», hauche ich und lasse mich von den süßen Gefühlen davontragen. Eigentlich sehe ich auch keinen triftigen Grund, mich wie eine eiserne Jungfrau zu zieren.
Eng umschlungen rutschen wir vom Sofa auf den weichen Teppich. Geschickt hilft mir John aus der Bluse und zieht auch sein Hemd aus. Für einen leidenschaftlichen Moment gibt es nur noch ihn und mich – bis uns ein melodiöses Summen stört.
Erschrocken fahren wir auseinander. «Die Türglocke», erklärt John sichtlich überrascht. «Keine Ahnung, wer das sein kann.»
Ein Immobilienkäufer wird ihn wohl nicht in seiner Privatwohnung aufsuchen, denke ich ernüchtert, als das Summen erneut erklingt. Zusätzlich klopft auch noch jemand an die Tür.
«Pssst», zischt er mir leise zu. «Wir sind nicht da.»
Doch im nächsten Moment hören wir, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wird. Wir springen beide auf. Ich kann mich gerade noch mit meiner Bluse bedecken, als auch schon eine junge Frau die Wohnung betritt. Sie ist überirdisch schön und muss mindestens zwanzig Jahre jünger sein als ich. Und wenigstens zehn Kilo leichter! Dichtes blondes Haar umrahmt ihr rundes Mädchengesicht. Der schlanke Körper steckt in engen schwarzen Hosen, zu denen sie ein graues Herrenhemd und schmutzig weiße Turnschuhe trägt. Sie scheint nicht mehr ganz nüchtern zu sein, wie ich aus der geöffneten Weinflasche in ihrer Hand schließe.
Völlig entsetzt starrt sie uns an.
«John!» Sie klingt so empört, als wolle sie gleich die Flasche auf seinem Kopf zertrümmern.
«Carolin!», ruft John nicht weniger überrascht, während er nervös sein Hemd in die Jeans steckt.
«Du Scheißkerl!», zetert sie vorwurfsvoll und stürmt wie eine Rachegöttin direkt auf uns zu.
Mich trifft dabei einer dieser eiskalten Blicke, von denen es heißt, sie könnten töten.
Ziemlich dicht vor mir bleibt sie stehen. «Und wer ist
die
da?», fragt sie im tiefverletzten Tonfall einer betrogenen Frau.
Ich bin sprachlos. In was für ein Drama bin ich denn jetzt geraten? Fassungslos suche ich Johns Blick. Doch er fummelt sich nur die Brille auf die Nase und sagt kein Wort.
Also tue ich das einzig Richtige: Ich ergreife die Flucht, schnappe mir auf dem Weg meine Jacke vom Stuhl und renne durch die noch offenstehende Tür aus der Wohnung. Nichts wie raus hier. Zoff kann ich auch zu Hause haben. Außerdem hab ich nicht die geringste Lust, schon wieder mit einer jüngeren Frau zu konkurrieren.
«Rosy, warte», ruft John. Er läuft mir nach, hat mich auf halber Treppe eingeholt und legt seine Hand auf meine Schulter, um mich zurückzuhalten. «Lass mich doch bitte erklären –»
«Was gibt’s da noch groß zu erklären?», antworte ich verächtlich und schüttle seine Hand ab. «Du hast dich kein bisschen verändert, John Ansbach. Die Situation ist Beweis genug. Einmal Betrüger, immer Betrüger.»
«Bitte, Rosy», fleht er leise. «Das ist alles nur ein Missverständnis. Ich begleite dich zu deinem –»
«Nicht nötig», unterbreche ich ihn barsch. «Du wohnst ja nicht in einem Verbrecherviertel. Obwohl du dort bestens hinpassen würdest.» Damit laufe ich die Treppen runter, ohne mich noch einmal umzusehen.
Auf der Straße angekommen, rast mein Puls auf Höchsttouren. Kalter Schweiß steht mir auf der Stirn, den der einsetzende Platzregen wegwischt. Aber ich muss erst einige Male tief durchatmen, bevor ich mich in den Wagen setzen und losfahren kann.
Nach wenigen Metern Fahrt überquert vor mir ein schwarz-weißer Jack Russel mit seinem Frauchen die Straße. Mein Fuß hebt sich vom Gaspedal, ich trete auf die Bremse. Einen Herzschlag lang bin ich versucht umzukehren. Möglicherweise tue ich John unrecht. Vielleicht hat er sich doch geändert, und es gibt eine plausible Erklärung. Vielleicht sollte ich ihm eine Chance geben. Doch dann ist das Hund-Frauchen-Gespann davongeeilt, die Straße wieder frei, ich erreiche die Ecke zur Hauptstraße, die Ampel steht auf Grün – und es ist zu spät. Ich öffne das Fenster, sauge die
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