Sie kamen bis Konstantinopel
Abwasserkanal«, antwortete Aaron. »Hier können wir Licht machen.«
Nach einigen Schlägen mit einem Eisen auf den Feuerstein erglomm ein Funke, dann ließ das Flämmchen einer Öllampe die großen Blöcke des Mauerwerks aus dem Dunkel treten.
»Hier lang. Vorsicht, an einigen Stellen ist das Gewölbe niedriger!« Sie wateten durch eine schlammige Brühe.
»Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Padraich, nun doch unsicher, ob er dem Richtigen traute.
»Zur Flussmauer, dort ist ein Ausgang. Das Judenviertel ist nicht weit. Meine Frau wird dich verbinden.«
»Weiß Grifo nicht, wo du wohnst?«
»Nein, ich mache Geldgeschäfte immer woanders. Außerdem ist er fremd in der Stadt. Und wir Juden stehen unter dem Schutz des Bischofs.«
Während Padraich über diese – für seine bisherige Vorstellung unerhörte! – Tatsache nachsann, folgte er dem hinkenden Alten bis zur Mündung des Gangs. Dort wandten sie sich nach rechts, schlichen die Flussmauer entlang, kehrten durch einen Torbogen in die Stadt zurück und gelangten zu einigen Fachwerkhäuschen, die sich an die Mauern einer großen Ruine lehnten. Nachdem Aarons Frau erst über den Schmutz geschimpft, anschließend über die Verletzungen gejammert hatte, rief sie einen heilkundigen Nachbarn, der den verstauchten Knöchel des Alten und Padraichs Wunde versorgte.
»Zeigt euch besser nicht auf der Straße!«, warnte der Arzt. »Ich habe gehört, dass Grifos Männer die Stadt mit Fackeln und Hunden durchkämmen.«
»Bleib lieber bei uns«, schlug Aaron vor und seine Frau bekräftigte die Einladung. »Ein warmes Mahl, ein Bett und ein Versteck sind das Mindeste, was wir dir schulden.«
So kam es, dass Padraich von der Stadt der vielen Heiligen nicht mehr sah als das Haus eines jüdischen Ehepaars. Am nächsten Abend stattete er nach Einbruch der Dunkelheit dem Bischof einen Besuch ab, beichtete seine Verfehlungen – und erhielt das Versprechen, dass Memilians Familie von seinem Tod benachrichtigt würde. Kurz vor Sonnenaufgang des folgenden Tages schlich er sich zum Hafen, wo ihn der Kapitän mit hochgezogenen Augenbrauen begrüßte. »So schnell zurück?«
»Ich habe mich beeilt«, entgegnete Padraich, dem die Schamesröte ins Gesicht stieg, als er daran dachte, was er in Colonia auf sein Gewissen geladen hatte: Einen Diakon belogen, sich mit Christen geprügelt und bei Juden übernachtet.
»Für mein Seelenheil ist es besser, wenn ich möglichst bald ins Land der Heiden gelange, um dort die Botschaft des Herrn zu verbreiten«, fügte er mit gesenktem Blick hinzu.
***
Nach drei anstrengenden Wochen – der Peregrinus hatte diesmal zur Verwunderung des Kapitäns darauf bestanden, sich beim Treideln selbst an den Seilen abzuschinden – legte das Schiff bei einer riesigen, verfallenen Festung namens Altaripa an.
»Folg immer dem Neckarfluss, bis er sich nach Süden wendet«, riet ihm ein Fischer, der ihn an das Ostufer des Rheins übersetzte. »Nach zwei weiteren Tagesreisen biege in Richtung der Morgensonne ab. So kommst du nach Reganesburg!«
Padraich dankte ihm und wanderte den verschilften Fluss entlang, bis er nach einigen Stunden zu den Resten der Stadt Lobdenburg kam. Zu seiner Freude lebten dort einige Christen, darunter eine Schreinerfamilie, die ihn bat, doch einige Tage ihr Gast zu sein. Der Aufenthalt dauerte länger als erwartet, und als schließlich die Bäume ihre Blätter verloren und die ersten Schneeschauer über das Land fegten, gab er ihrem Drängen nach, den Winter in der Stadt zu verbringen. Da er eifrig die Sprache der Einheimischen lernte und bei seinen Predigten mehr die Freuden des Paradieses als die Schrecken der Hölle schilderte, wuchs die kleine Christenschar im Laufe der Wintermonate beträchtlich an. Im Frühjahr hatte er schon zwei Dutzend Männer und Frauen getauft, so dass selbst der gottlose Gibuld auf ihn aufmerksam wurde.
Der adelige Alamanne hatte den römischen Burgus, einen quadratischen Festungsturm am Neckarufer, zu seinem Wohnsitz erkoren, von dem aus er seine Ländereien mit den halbfreien Bauern überwachte. Eines Abends ließ er den Mönch zu sich rufen, setzte ihm reichlich Met vor, um seine Trinkfestigkeit zu prüfen, und lauschte seinen Erzählungen über Gott, die sündigen Menschen und den Kreuzestod, den Christus auf sich genommen hatte, um sie zu erlösen. Nach einer Woche, die die zwei Männer mit Gesprächen über die Religion verbracht hatten, stand der alte Krieger eines Abends plötzlich auf,
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