Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
Vom Netzwerk:
öffnete sie und spähte in den leeren Gang. Nachdem er sich versichert hatte, dass sie nicht belauscht wurden, kehrte er zurück, bis er dicht vor Pelagia stand.
    »Der Kaiser hat sogar die Kirche um Unterstützung gebeten«, erklärte er ernst. »Ein Geistlicher soll heimlich zu den Langobarden reisen, um dort mit Beuteln voller Solidi Zwietracht zu schüren.«
    »Wieso ein Geistlicher?«, wunderte sich Pelagia.
    »Wer kann in diesen wirren Zeiten halbwegs sicher reisen? Wer, außer einem Priester, erfährt alles? Wer findet in jeder Stadt Unterstützung, in jeder Gemeinde, in jedem Kloster?«, erwiderte Patricius nicht ohne Stolz. »Die Kirche ist überall, ihr Einfluss wächst.«
    Pelagia runzelte die Stirn. »Bedrohen uns diese Barbaren?«
    »Derzeit nicht. Aber wer weiß, was geschieht, wenn der Kaiser seine Söldner gegen die Sarazenen schickt? Dann könnte es ihrem Herrscher in den Sinn kommen, die uns noch verbliebenen Städte Italiens anzugreifen.« Der Mann leerte sein Glas und stellte es klirrend auf den Tisch zurück. »Grimoald hat nicht vergessen, wie das kaiserliche Heer bei der Belagerung von Benevent gewütet hat. Und noch weniger, dass unsere Söldner wie die Hasen getürmt sind, als er mit der Entsatzarmee aus dem Norden anmarschiert kam.«
    Er stand jetzt als dunkler Umriss vor Pelagia, die zu ihm aufblickte, während Wetterleuchten den Raum erfüllte. Unwillkürlich legte sie ihre Rechte auf seinen Unterarm. »Darf ich dich etwas fragen?«
    Patricius nickte. »Natürlich«, antwortete er.
    »Warum bist du als Kind ins Kloster gegangen?«
    Patricius sah sie überrascht an, zögerte kurz. Als er antworten wollte, hallte ferner Donner durch den Raum. Zuletzt sagte er leise: »Es blieb mir keine Wahl. Meine Familie hatte kaum mehr einen Kanten Brot. Vor allem aber wegen meiner Schuld …«
    »Was für eine Schuld?«, stutzte Pelagia. »Sag mir, was ein Kind so Schreckliches getan haben könnte, dass es auf alles verzichten muss?«
    »Ich will darüber nicht sprechen«, entgegnete Patricius schroff, löste ihre Hand und ging zum Fenster. Jetzt prasselten einzelne Hagelkörner gegen die Scheiben.
    »Hast du nie bereut, auf so vieles verzichtet zu haben?«, drängte Pelagia.
    »Auf was denn?«, wehrte er brüsk ab. »Auf Gold, nur damit ich mich vor Dieben fürchten muss? Auf Macht, nur um Angst vor einem Messer im Rücken zu haben? Auf Ruhm, nur damit ich von Neidern umschwärmt werde?« Er starrte aus dem Fenster. »Ich diene Gott, nicht irdischem Besitz. Was du erstrebst, macht dich unfrei. Darauf zu verzichten, macht mich frei.«
    Pelagia schwieg, dann antwortete sie ruhig. »Wie kannst du über Dinge urteilen, die du nicht kennst?«
    »Was soll ich nicht kennen? Meinst du, ein Priester geht mit geschlossenen Augen durchs Leben? Das, was ich sehe, entbehre ich nicht.«
    »Was du siehst, ist der Anblick des Lebens, so wie es Gott geschaffen hat. Wieso sollte es ihm gefällig sein, sein Werk zu verachten?« Pelagia musste ihre Stimme erheben, um Wind und Hagel zu übertönen. »Nicht alles steht in der Heiligen Schrift, nicht alles in der Welt ist schlecht. Manches muss man erleben.« Sie stand jetzt direkt hinter ihm und legte ihm sanft die Hand auf den Rücken.
    »Was denn?«, fragte er leise.
    »Die Liebe einer Frau. Oder darf ein Priester nicht heiraten?« Als sie, vom Wein beflügelt, den Satz ausgesprochen hatte, schoss ihr sogleich die Schamesröte ins Gesicht, so dass sie wünschte, die Frage nie gestellt zu haben.
    Doch Patricius blieb äußerlich ruhig. »Darüber ist sich die Kirche nicht einig«, antwortete er langsam. »Ein einfacher Priester darf es wohl, nur nicht ein Bischof …« Er wandte sich um. »Worauf willst du hinaus?«, fragte er leise.
    Ein weiterer Blitz erhellte den Raum, deutlich greller als alle anderen, wenige Herzschläge später von einem heftigen Donner gefolgt. Pelagia griff nach seiner Hand und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Verzicht kann auch eine Form der Flucht sein«, entgegnete sie sanft und versuchte, es beiläufig klingen zu lassen. Regen prasselte jetzt gegen das Fenster. Behutsam löste sie ihre Hand, legte ihre Arme um den Mann, fühlte den massigen Brustkorb, spürte seinen schnellen Atem und das Pochen seines Herzens. Wieder und wieder hatte ihre Mutter ihr eingeschärft, welch kostbarstes Gut die Jungfernschaft sei. Doch jetzt wollte Pelagia nur alle Ratschläge vergessen, sich einfach fallen lassen, sich hingeben, endlich das erleben, wonach

Weitere Kostenlose Bücher