Sie kannten keine Gnade - Western (German Edition)
Sammy. Sein Gesicht wurde ernst. Die Knöchel der Kinderhand um den Oleanderstrauß wurden weiß.
Sein Vater sah es. "Brich deine Zweige nicht ab, kleiner Mann."
"Ich paß schon auf."
Dann sahen sie Gus. Der schmächtige Hofhund kam mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schwanz auf sie zu. Er heulte ängstlich und nervös.
Big Sam hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
Sammys Blick hing an seinem Vater. Der spähte in alle Richtungen. Alles war ruhig.
Zu ruhig.
Gus umkreiste die Reiter und trottete vor ihnen her.
Die beiden traten aus dem Wald. Eine Schar Krähen fuhr auf und flatterte davon. Vater und Sohn sahen das Farmhaus, gefügt aus festen Balken. Es war eine schwarze Ruine.
Big Sam stockte das Herz.
Sammy glitt der Oleanderstrauß aus der Hand. Sein Mund stand offen.
Drüben auf der Weide graste teilnahmslos das Vieh.
Big Sam holte die Winchester aus dem Sattelschuh und stieg vom Pferd. "Sammy", sagte er. "Komm her, gib mir deine Hand."
Sie stapften durchs Gras auf den Hof.
Die kleine Scheune lag in Trümmern. Das Blockhaus war niedergebrannt. Die Balken seiner Wände ragten auf wie verkohlte Zinnen einer Burg. Die Vorderfront samt Tür und Veranda stand noch.
Big Sam entdeckte eine menschliche Form, die mit dem Rücken zur Tür auf den Bohlen der Veranda saß. "Schau nicht hin, Kleiner!" Seine Linke fuhr über Sammys Augen. "Geh zurück zu den Pferden", befahl Big Sam. "Und schau dich nicht um, bis ich es dir sage."
Das Kind nickte. Gehorsam marschierte es los.
Big Sam trat auf die Veranda. Er stieg über die ausgestreckten Beine der Gestalt und ging in die Hocke. Vor ihm saß mit geschlossenen Augen Zachary Watts. Der Wind spielte mit seinem langen Haar. Ein Pfeil steckte in seinem Herzen.
Er war tot.
Big Sam blickte sich um. Dann zog er den Pfeil aus Zachs Brust. Er studierte das blutige Geschoß und drehte es in den Fingern.
Es war ein Comanchenpfeil.
Big Sam sprang auf. "Sarah!" schrie er. Er trat die Tür auf und rannte durch die Räume der Ruine. Er schrie immer wieder ihren Namen. Er durchsuchte die Trümmer der Scheune. Er lief auf die Weide. Doch er fand sie nicht. Er fand weder Sarah, noch Mary.
"Geh zu dem dicken Baum dort im Wald, Kleiner!" rief er Sammy zu. "Mach dich klein, wenn du dort bist."
Er schwang sich auf den Falben und ritt den Arkansas River entlang, ein paar hundert Yards in beide Richtungen. Er suchte vorsichtig die Gegend ab. Doch er fand niemanden.
Mutter und Tochter waren verschwunden.
Und Zach war tot.
Big Sam nahm den jungen Cherokee in die Arme und trug ihn unter eine alte Eiche. Dort breitete er seine Jacke über ihn aus und rief Sammy. Sie holten Schaufeln aus den Trümmern der Scheune und gruben Zachary Watts ein Grab. Sammy fand seine Oleanderzweige und legte sie auf den toten Freund. Sie hieben mit Sams Bowie-Messer breite Zweige von den Ponderosas und bedeckten Zach damit. Dann errichteten sie einen Erdhügel über ihm. Zum Schluß nahm Big Sam den Hut ab und sprach ein stilles Gebet.
Zachs Hemd mit dem Loch, das der Pfeil gerissen hatte, behielten sie. Den Pfeil auch.
*
Der kalte Novemberwind pfiff durch die Straßen von Tulsey. Ein grauer Schatten schien an diesem Sonntag auf der weißen Kirche von Reverend Sequoiah Watts zu liegen. Auch in ihrem Innern war die Stimmung gedrückt. Die Gemeinde sang leise den Choral "Im Tal des Todesschattens."
Reverend Sequoiah stand mit eiserner Mine hinter seiner Kanzel, die er mit beiden Händen ergriffen hatte. Er hatte das blutige Hemd seines Sohnes Zachary wie eine Tischdecke über das Holz geworfen. Der Comanchenpfeil lag neben seiner offenen Bibel. Als das Lied endete, hob er ihn einen Moment lang für alle sichtbar empor.
"Gott gab einst seinen Sohn in den Tod, damit wir Leben haben", sagte er und deutete mit dem Pfeil auf das unbehauene Holzkreuz an der Wand hinter sich. "Wie muß das Herz des Vaters gelitten haben, als er ihn dort am Holz hängen sah. Nun habe auch ich einen Sohn verloren." Er hielt inne. Seine Lippen wurden zu bebenden Strichen. Er bezwang sich.
"Nun weiß ich, wie Gott sich gefühlt haben mag", sagte Reverend Sequoiah Watts. Er blickte zu Big Sam hinüber, der in der ersten Reihe saß. "Zachary Watts starb, als er Menschen beschützte. Er schützte Frau und die Tochter unseres Freundes Samuel."
Big Sam senkte den starren Blick.
"Da kam ein Comanche und tötete Zachary mit diesem Pfeil." Er hob das Geschoß wieder hoch. "Nun ist Zachary tot. Er starb, während Big Sam
Weitere Kostenlose Bücher