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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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komme schon«, würde diese gleich rufen und die große Tür aus Birkenholz öffnen. Dann würden sie sich ins Wohnzimmer setzen und bei einem Gläschen Pergliamici über alte Zeiten und Frau Roths verstorbenen Ehemann reden. Wie die letzten Male.
    Aber die Tür blieb an diesem Tag verschlossen. Frau Roth öffnete nicht, und es war auch nichts zu hören. Ein beklemmendes Gefühl ergriff die Freundin. Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahn und flutete ihren Körper, der mit Herzrasen reagierte. Sie lief auf die Straße und versuchte, von der Rückseite der Wohnanlage einen Blick in die Wohnung zu erhaschen.
    Wie festzementiert stand sie da und blickte durch die regnerische Dunkelheit in die hell erleuchtete Galerie. Das Regenwasser rann ihr die Stirn hinab. Es vergingen einige Minuten, bis sie zu einer Reaktion fähig war. 112.
    »Feuerwehr- und Rettungsdienstnotruf, guten Abend.«
    »Ich glaube, meine Bekannte ist tot. Können Sie bitte jemanden herschicken?«
    Eine algorithmische Notrufabfrage erfolgte. Der Mitarbeiter in der Notrufzentrale sicherte der Freundin einen Rettungswagen und den Notarzt zu. Doch wir kamen zu spät. Emilie Roth hatte sich erhängt.
    Sie glich einer von Madame Tussauds Wachsfiguren. Unversehrt lag sie da. Einfach so, als ob sie bei den eisigen Temperaturen eines sibirischen Winters schliefe, denn sie hatte tiefblaue Lippen. Eine durchdachte Seilkonstruktion an der Decke ließ vermuten, dass Frau Roth planvoll vorgegangen war. Das grüne Telefon im Zimmer schellte unaufhörlich und störte die Ruhe. Jemand ahnte wohl etwas. Frau Roth hatte das Foto eines jungen Mädchens vor sich auf einen Schemel gelegt, bevor sie sich in die Schlinge hatte fallen lassen. Das Mädchen war wahrscheinlich das Letzte, was Frau Roth gesehen hatte.
    Als Lenny und ich den Einsatzort verließen, sagte niemand von uns ein Wort. Das Blau der durch Regen fragmentierten Lichtblitze war noch lange zu sehen und verschmolz mit dem grellen Neonlicht der Straßenlaternen, bis wir endlich in die Hauptstraße einbogen.
    Kurz darauf kam der nächste Notfallauftrag. Eine Geburt. Der Geburtsakt an sich ist zwar eine außerordentlich blutige Sache, und in der Regel kann bis zum endgültigen und erfolgreichen Abschluss nur der Sanitäter lachen. Aber auch die zitternden Ehemänner sorgen dabei für amüsanten innerbetrieblichen Gesprächsstoff. Und so schlossen wir diesen Tag mit einem positiven Einsatz ab: einem gesunden Mädchen und einer glücklichen Mutter. Und natürlich dem Vater, der seinen Kollaps während des Geburtsvorganges ohne weitere Schäden überstanden hatte und sich ebenfalls freute wie ein König. Freud und Leid liegen im Rettungsdienst gelegentlich nur wenige Minuten auseinander. Auch das macht die Arbeit eines Retters enorm reizvoll.

Wohnungsöffnung
    Der zottelige Typ vom Schlüsseldienst kniete vor Oma Winklers blau gestrichener Haustür und fuhrwerkte zweihändig mit seinem Werkzeug im Zylinder herum. Die Wohnzimmerjalousie ließ nur einen schmalen Blick ins Haus zu. Alle übrigen Rollos des Einfamilienhauses waren heruntergelassen. Ein möglicher Grund dafür könnte die Mittagshitze gewesen sein. Eine weitere denkbare Ursache wäre, dass Oma Winkler mit ihren 80 Jahren bereits aus dem Leben geschieden war. Toll, eine Leiche, die bei 35 Grad im Schatten am Vergammeln war. Das Mittagessen hätte sich damit für mich erledigt.
    Ob Frau Winkler nicht einfach nur weggefahren war und das Haus verlassen hatte? Nein. Licht im Wohnzimmer, ein laufender Fernseher und drei Diabetikermahlzeiten von »Essen auf Rädern« vor der Tür sprachen eindeutig dagegen.
    »Kriegst du die Tür jetzt endlich auf? Oder sollen wir jemand anderen holen?«, fragte Lenny und rückte dem Techniker dichter auf den Leib.
    »Ja, Mann. Ja ... ich hab’s gleich. Is gleich offen.«
    »Wenn du noch länger brauchst, holen wir uns doch noch am Dönerstand was zum Futtern«, sagte ich.
    »Oder wir rufen die Feuerwehr«, stichelte Lenny weiter.
    »Jetzt wartet doch! Ich hab’s ja gleich.« Der Techniker wurde nervös. Der Schlüssel schien von innen zu stecken. Der Typ war wohl auch nicht gerade die allerhellste Leuchte auf diesem Planeten. Einer der Polizisten, die auch mit von der Partie waren, nahm mich zur Seite. Wenn der Schlosser so weitermachen würde, dann stünden wir bestimmt an Weihnachten noch hier.
    Dann war es so weit. Nein, nicht die Haustür war endlich offen, sondern das Sperrwerkzeug des Handwerkers brach im Zylinder ab.

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