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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Fernsehprogramm zappen konnte. Bis Mitternacht hatte sie hart gearbeitet, vollkommen in die Vorbereitung der morgigen Befragung vertieft. Das Handy hatte sie auf Vibration gestellt und in die Tasche gesteckt. Immer wieder hatte sie es herausgezogen und nachgesehen, ob sie einen Anruf verpasst hatte.
    Aber das hatte sie nicht.
    Wo zum Teufel steckte Mike?
    Natürlich hatte sie versucht, ihn anzurufen. Und zu Hause. Und bei Adam auf dem Handy. Langsam machte sich erste Panik breit, sie versuchte aber, ihr nicht völlig zu verfallen. Adam war eine Sache. Mike eine ganz andere. Mike war erwachsen. Er konnte mit fast jeder Situation umgehen. Unter anderem deshalb hatte sie sich damals zu ihm hingezogen gefühlt  – auch wenn das aus feministischer Sicht nicht politisch korrekt war. In Mike Bayes Nähe hatte sie sich sicher, umsorgt und in jeder Beziehung behütet gefühlt. Er war ein Fels in der Brandung.
    Tia fragte sich, was sie tun sollte.
    Sie konnte in den Mietwagen steigen und nach Hause fahren. Das würde ungefähr vier, vielleicht auch fünf Stunden dauern. Morgen früh wäre sie zu Hause. Aber was wollte sie da? Die Polizei anrufen? So kurz nach Mikes Verschwinden würden die gar nicht richtig zuhören, außerdem konnten sie um die Zeit auch nicht viel machen.
    Drei Uhr morgens. Tia fiel nur eine Person ein, die sie anrufen konnte.
    Obwohl sie ihn noch nie angerufen hatte, hatte sie seine Nummer im Handy eingespeichert, weil Mike und sie ihre Daten gemeinsam in Outlook mit demselben Kalender, Adress- und Telefonbuch verwalteten. So waren ihre Blackberrys immer auf dem gleichen Stand, und beide wussten  – zumindest in der Theorie  –,
welche Termine der andere hatte. Außerdem hatten sie auch alle privaten und geschäftlichen Kontaktdaten.
    Das zeigte dann auch, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten, oder?
    Sie dachte darüber nach  – inwiefern man Geheimnisse und ein eigenes Innenleben brauchte und welche Angst sie als Mutter und Ehefrau manchmal davor hatte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Sie suchte die Nummer heraus und drückte die Anruftaste.
    Falls Mo geschlafen hatte, hörte man das seiner Stimme nicht an.
    »Hallo?«
    »Hier ist Tia.«
    »Was ist los?«
    Sie hörte die Angst in diesen Worten. Mo hatte weder Frau noch Kinder. Eigentlich hatte er nur Mike. »Hast du was von Mike gehört?«
    »Gegen halb neun haben wir telefoniert.« Dann wiederholte er die Frage: »Was ist los?«
    »Er ist Adam suchen gefahren.«
    »Ich weiß.«
    »Wir haben so gegen neun noch mal darüber gesprochen. Seitdem hat er sich nicht mehr gemeldet.«
    »Hast du versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen?«
    Jetzt wusste Tia, wie Mike sich gefühlt hatte, als sie ihm eine ähnlich idiotische Frage gestellt hatte. »Natürlich.«
    »Ich bin schon fast angezogen«, sagte Mo. »Sobald ich fertig bin, fahr ich zu euch rüber und guck im Haus nach. Ist der Schlüssel immer noch unter dem falschen Felsen neben dem Zaunpfahl versteckt?«
    »Ja.«
    »Okay. Ich bin unterwegs.«
    »Soll ich die Polizei anrufen?«
    »Warte noch, bis ich da bin. Das dauert keine halbe Stunde.
Vielleicht ist er einfach vor dem Fernseher eingeschlafen oder so was.«
    »Glaubst du das, Mo?«
    »Nein. Ich meld mich, sobald ich da bin.«
    Er legte auf. Tia schwang die Beine aus dem Bett. Das Zimmer hatte mit einem Schlag jeden Reiz verloren. Sie konnte es nicht ausstehen, allein zu schlafen, selbst in einem Luxushotel mit Edelbettwäsche. Sie brauchte ihren Mann neben sich. Immer. Es kam sehr selten vor, dass sie eine Nacht getrennt verbrachten, und sie vermisste ihn mehr als sie sich eingestehen wollte. Sie brauchte etwas, woran sie sich festhalten konnte. Sie mochte seinen warmen Körper neben sich, dass er sie beim Aufstehen immer auf die Stirn küsste, dass er seine starke Hand, wenn sie schlief, auf ihren Rücken legte.
    Sie erinnerte sich noch genau an die Nacht, in der Mike etwas kurzatmig war. Nachdem sie lange gedrängelt hatte, hatte er schließlich zugegeben, dass er sich beengt in der Brust fühlte. Tia, die stark sein wollte, um ihrem Mann zu helfen, wäre fast durchgedreht, als sie das hörte. Im Endeffekt hatte er sich nur den Magen verdorben, aber allein der Gedanke hatte ihr schon Tränen in die Augen getrieben. Sie hatte sich vorgestellt, wie ihr Mann sich an die Brust griff und zu Boden sackte. Und seitdem wusste sie es. Seitdem wusste sie, dass das eines Tages tatsächlich passieren konnte  – auch wenn es vielleicht

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