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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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noch dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre hin war  –, es würde passieren, das oder etwas ähnlich Furchtbares, weil das allen Paaren irgendwann passierte, den glücklichen genauso wie den unglücklichen, und dass sie das einfach nicht überleben würde. Manchmal betrachtete sie ihn nachts, wenn er schlief, und flehte ihn und die dafür zuständigen Mächte an: »Versprecht mir, dass ich zuerst sterbe. Versprecht es mir.«
    Ruf die Polizei an.
    Aber was würden die machen? Noch nichts. Im Fernsehen
schwärmte das FBI sofort aus. Sie hatte erst vor Kurzem in einer Fortbildung für Strafrecht erfahren, dass ein Volljähriger so schnell noch gar nicht als vermisst erklärt werden konnte, sofern es keine ernstzunehmenden Hinweise auf eine Entführung oder die Androhung körperlicher Gewalt gab.
    Das lag beides nicht vor.
    Und wenn sie jetzt die Polizei anrief, würde allenfalls ein Beamter zum Haus fahren und da nach dem Rechten sehen. Und womöglich war Mo dann gerade da  – was zu Missverständnissen führen konnte.
    Sie würde die knappe halbe Stunde warten.
    Tia hätte gern bei den Novaks angerufen und mit Jill gesprochen, einfach um ihre Stimme zu hören. Etwas Beruhigendes. Verdammt, Tia war so glücklich über diese Dienstreise gewesen, wo sie ein Luxuszimmer bekam, sich in den Frotteebademantel kuscheln und etwas beim Zimmerservice bestellen konnte, und jetzt wollte sie doch nur wieder zurück zu ihrer Familie. Das Zimmer wirkte kalt und leblos. Tia schauderte in der Einsamkeit. Sie stand auf und stellte die Klimaanlage kleiner.
    Das ganze Gebilde war extrem zerbrechlich. Das war keine ganz neue Erkenntnis, aber eine, die wir meist verdrängten  – wir weigerten uns, darüber nachzudenken, wie leicht unser Leben in die Brüche gehen konnte, denn wenn es uns so richtig bewusst wurde, würden viele von uns durchdrehen. Und die Menschen, die in ewiger Angst lebten, die Medikamente brauchten, um zu funktionieren, das waren doch diejenigen, die die Realität wirklich verstanden hatten, die wussten, wie schmal der Grat war, auf dem wir uns bewegten. Ihr Problem war nicht, dass sie der Wahrheit nicht ins Auge sehen konnten  – ihr Problem war, dass sie sie nicht verdrängen konnten.
    Tia könnte auch dazugehören, das wusste sie, und sie kämpfte hart darum, diese Ängste in Schach zu halten. Plötzlich beneidete sie ihre Chefin Hester Crimstein dafür, dass sie niemanden
hatte. Vielleicht war das besser so. Natürlich war es im Allgemeinen besser, wenn es Menschen gab, die einem wichtiger waren als man selbst. Das wusste sie. Aber damit ging auch immer diese erbärmliche Angst einher, sie zu verlieren. Es heißt, der Besitz beherrsche die Menschen, aber das stimmte nicht. Diejenigen die man liebte, beherrschten einen. Man war den Menschen, die man liebte, auf ewig verfallen.
    Die Zeit wollte nicht vergehen.
    Tia wartete. Sie stellte den Fernseher an. Informercials bestimmten die spätnächtliche TV-Landschaft. Werbefilme für Fortbildungen, Jobs und Colleges  – sie nahm an, dass die einzigen Menschen, die um diese Zeit fernsahen, all das nicht hatten.
    Es war fast vier, als das Handy endlich summte. Tia schnappte es, sah Mos Namen auf dem Display und meldete sich.
    »Hallo?«
    »Keine Spur von Mike«, sagte Mo. »Und von Adam auch nicht.«

    An Loren Muses Tür stand ESSEX COUNTY CHIEF INVESTIGATOR. Jedes Mal, wenn sie die Tür öffnete, blieb sie kurz stehen und las es leise. Sie hatte ein Eckbüro. Die Schreibtische der Detectives standen im gleichen Stockwerk. Lorens Büro hatte Fenster, und wenn sie da war, ließ sie die Tür immer offen. Sie wollte zu den Ermittlern gehören und gleichzeitig über ihnen stehen. Wenn sie mal ihre Ruhe brauchte  – was selten vorkam  –, zog sie sich in einen Verhörraum am Rand des Reviers zurück.
    Als sie morgens um halb sieben ankam, waren nur zwei andere Detectives da, und beide räumten ihren Schreibtisch auf, um pünktlich um sieben zum Schichtwechsel nach Hause gehen zu können. Loren prüfte auf der Pinnwand, ob es neue Morde gegeben hatte. Gab es nicht. Sie hoffte, heute eine Antwort vom NCIC auf ihre Anfrage nach den Fingerabdrücken der unbekannten
Nicht-Prostituierten im Leichenschauhaus zu bekommen. Sie schaute im Computer nach. Noch nichts.
    Die örtliche Polizei in Newark hatte in der Nähe des Fundorts der Unbekannten eine Überwachungskamera entdeckt. Wenn die Leiche in einem Auto zum Fundort gebracht worden war  – und es war kaum davon

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