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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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waren ideal für so etwas. Er erinnerte sich, dass er etwas über eine Entführung gelesen hatte, bei der die Kidnapper ihr Opfer in so ein Lager gesperrt hatten. Es war dann versehentlich erstickt. Aber Nash kannte auch die anderen Geschichten  – solche, bei denen einem die Lunge kollabierte. Jeder kannte diese Plakate mit den Vermissten, und manchmal fragte man sich, wo diese Kinder von den Milchkartons waren, oder die Frauen, die nur kurz das Haus verlassen hatten, und manchmal, und zwar häufiger, als man es wahrhaben wollte, lagen diese Vermissten gefesselt, geknebelt und häufig sogar lebendig in Selbstlagern wie diesem.
    Wie Nash wusste, glaubte die Polizei, dass Verbrecher immer einem bestimmten Muster folgten. Für gewöhnlich mochte das stimmen  – die meisten Verbrecher waren schließlich Idioten  –, aber Nash machte genau das Gegenteil. Mariannes Gesicht hatte er bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert, Rebas hingegen nicht angerührt. Zum Teil war das ein rein logistisches Problem. Er wusste, dass er Mariannes wahre Identität verbergen konnte. Bei Reba hingegen hatte er keine Chance. Wahrscheinlich hatte ihr Mann längst eine Vermisstenanzeige aufgegeben, und wenn jetzt irgendwo eine frische Leiche gefunden wurde, konnte sie noch so blutverschmiert und verstümmelt sein, die Polizei käme trotzdem schnell auf den Gedanken, dass es sich um Reba Cordova handeln könnte.
    Also veränderte er den Modus Operandi: Er ließ die Leiche gleich ganz verschwinden.
    Das war der Trick. Mariannes Leiche hatte Nash ganz bewusst an einem Ort abgelegt, an dem man sie fand, Reba hingegen würde einfach verschwinden. Er hatte ihren Wagen auf den Hotelparkplatz gestellt. Die Polizei würde glauben, dass sie dort ein Stelldichein gehabt hatte. Also würden die Ermittlungen sich darauf konzentrieren. Die Polizei würde Rebas Vorgeschichte durchleuchten, um festzustellen, ob sie irgendwelche Verbindungen zu einem
Liebhaber fand. Und wenn noch eine Extraportion Glück dazukam, hatte Reba wirklich ein Verhältnis. Dann würde die Polizei sich auf den Liebhaber einschießen. Im Endeffekt änderte das aber nicht viel, denn wenn keine Leiche gefunden wurde, gab es keine Hinweise auf ein Verbrechen, weshalb sie irgendwann schließen würden, dass Reba ihren Mann und ihre Familie verlassen hatte. Dann gab es keine Verbindung zwischen Reba und Marianne.
    Also würde er sie hierlassen. Wenigstens für eine Weile.
    Pietra saß wieder mit diesem leeren Blick neben ihm. Vor vielen Jahren war sie eine hinreißende junge Schauspielerin in dem Land gewesen, das damals noch Jugoslawien hieß. Es war zu ethnischen Säuberungen gekommen. In einem Krieg, dessen Grausamkeit jede normale Vorstellungskraft überstieg, waren ihr Mann und ihr Sohn vor ihren Augen ermordet worden. Pietra hatte nicht so viel Glück gehabt  – sie hatte überlebt. Nash hatte damals als Söldner gearbeitet. Er hatte sie gerettet  – jedenfalls das, was noch von ihr übrig war. Seit damals erwachte Pietra nur zum Leben, wenn sie eine Rolle spielte, wie in der Bar, als sie sich Marianne geschnappt hatten. Sonst war sie leer. Diese serbischen Soldaten hatten ihren Körper ausgehöhlt und nur die leere Hülle zurückgelassen.
    »Ich habe es Cassandra versprochen«, sagte er zu ihr. »Das verstehst du doch, oder?«
    Pietra sah zur Seite. Er betrachtete ihr Profil.
    »Das ist eine große Belastung für dich, stimmt’s?«
    Pietra sagte nichts. Sie legten Rebas Leiche in eine Mischung aus Holzhäckseln und Mist. Darin würde sie sich eine Weile halten. Das Risiko, noch ein Nummernschild zu klauen, war Nash zu groß. Also nahm er das schmale, schwarze Isolierband und machte aus dem F ein E  – wahrscheinlich reichte das schon. In der Ecke des Lagerraums hatte er ein paar weitere »Verkleidungen« für den Lieferwagen. Ein Magnetschild mit Werbung für Tremesis Farben. Eins mit der Aufschrift Cambridge Institute. Er entschied sich aber
für einen Stoßstangenaufkleber, den er letztes Jahr im Oktober bei einem religiösen Kongress unter dem Titel DIE LIEBE DES HERRN gekauft hatte. Auf dem Aufkleber stand:
    GOTT GLAUBT NICHT AN ATHEISTEN
    Nash lächelte. Was für eine nette, gottesfürchtige Empfindung. Das Wichtigste daran war aber, dass es einem auffiel. Er klebte es mit doppelseitigem Klebeband an, so dass er es bei Bedarf leicht wieder abziehen konnte. Die Leute würden den Aufkleber lesen und entweder beleidigt oder beeindruckt sein. Auf jeden Fall fiel er

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