Sie sehen dich
ist überfallen worden, und mein Sohn wird vermisst. Glauben Sie wirklich, dass mir danach zumute ist, ganz kokett eine Befragung durchzuführen?«
»Ob Ihnen danach zumute ist? Wen interessiert denn, ob Ihnen danach zumute ist? Sie sollen es einfach nur machen, Tia. Die Freiheit eines Menschen steht auf dem Spiel.«
»Sie müssen sich jemand anderen suchen.«
Schweigen.
»Ist das Ihr letztes Wort«, fragte Hester.
»Ja«, sagte Tia, »das ist mein letztes Wort. Bin ich jetzt meinen Job los?«
»Jetzt noch nicht«, sagte Hester. »Aber demnächst. Weil Sie mir klargemacht haben, dass ich mich nicht auf Sie verlassen kann.«
»Ich werde hart dafür arbeiten, Ihr Vertrauen zurückzugewinnen.«
»Das wird nichts. Bei mir kriegt man keine zweite Chance. Ich habe genug Anwälte in meiner Kanzlei, die nie eine brauchen.
Also lasse ich Sie wieder Routinesachen machen, bis Sie kündigen. Schade eigentlich. Ich glaube, Sie hätten Potential gehabt.«
Hester Crimstein legte auf.
Sie verließen das Krankenhaus. Mike hatte seine Frau nicht aus den Augen gelassen. »Tia?«
»Ich will jetzt nicht darüber reden.«
Mo fuhr sie nach Hause.
Tia fragte: »Was machen wir jetzt?«
Mike schluckte eine Schmerztablette. »Du könntest vielleicht Jill abholen.«
»Okay. Und was macht ihr?«
»Ich möchte mich als Erstes«, sagte Mike, »mit Daniel Huff darüber unterhalten, warum er gelogen hat.«
21
Mo sagte: »Dieser Huff ist ein Bulle, oder?«
»Stimmt.«
»Dann wird der sich wohl nicht so leicht einschüchtern lassen.«
Sie hatten schon vor dem Haus der Huffs gehalten, standen fast genau da, wo Mike geparkt hatte, bevor seine ganze Welt zu Bruch gegangen war. Er hörte nicht auf Mo. Er stürmte einfach zur Tür. Mo folgte ihm. Mike klopfte und wartete. Dann drückte er auf den Klingelknopf und wartete weiter.
Niemand öffnete.
Mike ging ums Haus herum zur Hintertür. Er klopfte auch da. Immer noch nichts. Er ging zum Fenster, schirmte die Augen mit den Händen ab und sah ins Haus. Da rührte sich nichts. Er probierte sogar noch den Türknauf. Die Tür war verschlossen.
»Mike?«
»Er lügt, Mo.«
Sie gingen zurück zum Wagen.
»Wohin?«, fragte Mo.
»Lass mich fahren.«
»Nein. Wohin?«
»Zum Polizeirevier. Da arbeitet Huff.«
Die Fahrt war gerade einmal einen Kilometer lang. Mike dachte über Daniel Huffs kurzen Arbeitsweg nach. Was für ein Glück, wenn man so schnell bei der Arbeit war. Mike selbst hatte schon viele Stunden im Stau auf der Brücke verbracht, dann fragte er sich, warum er über so etwas Banales nachdachte und merkte, dass er komisch atmete und dass Mo ihn aus dem Augenwinkel beobachtete.
»Mike?«
»Was ist?«
»Du musst Ruhe bewahren.«
Mike runzelte die Stirn. »Und das ausgerechnet von dir?«
»Ja, ausgerechnet von mir. Und du kannst dich jetzt entweder über den Aberwitz und die Ironie freuen, dass gerade ich Vernunft predige, oder du denkst darüber nach, ob es nicht einen ziemlich guten Grund geben könnte, wenn ich dich zur Zurückhaltung ermahne. Du kannst doch nicht einfach in eine Polizeiwache marschieren und fuchsteufelswild auf einen Polizisten losgehen.«
Mike sagte nichts. Das Polizeirevier war eine ehemalige Bibliothek oben auf einem Hügel, wo es praktisch keine Parkplätze gab. Mo fuhr langsam weiter und suchte eine Lücke.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja, Mo, ich hab dich verstanden.«
Vor ihnen war kein freier Parkplatz.
»Ich fahr rüber auf die andere Seite.«
Mike sagte: »Dafür haben wir keine Zeit. Ich mach das allein.«
»Vergiss es.«
Mike sah ihn an.
»Scheiße, Mike, du siehst furchtbar aus.«
»Wenn du mich fahren willst, ist mir das recht, Mo. Aber du bist nicht mein Babysitter. Also lass mich jetzt hier raus. Mit Huff muss ich sowieso allein reden. Wenn du neben mir stehst, wird er nur misstrauisch. Bei einem Gespräch unter vier Augen kann ich mit ihm von Vater zu Vater reden.«
Mo hielt am Straßenrand an. »Dann vergiss aber nicht, was du gerade gesagt hast.«
»Was meinst du?«
»Von Vater zu Vater. Er ist auch Vater.«
»Und was soll das heißen?«
»Denk mal drüber nach.«
Beim Aussteigen spürte Mike, wie ihm der Schmerz von den Rippen durch den ganzen Körper schoss. Mit Schmerzen war das bei ihm so eine Sache – seine Schmerzschwelle lag nicht nur sehr hoch, manchmal beruhigten ihn Schmerzen sogar. Er mochte den Muskelkater nach einem harten Training. Beim Eishockey hatten seine Gegner oft versucht, ihn mit harten
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