Sie sehen dich
hoffte, dass er das hinter sich lassen konnte. Er hoffte auch, dass die Frauen das hinter sich lassen konnten, damit sie ihn wirklich wahrnahmen. Aber im Moment lief es nun mal so, daher blieben all diese Beziehungen sehr oberflächlich. Die Frauen wollten mehr. Sie versuchten aber, keinen Druck zu machen, wodurch sich natürlich großer Druck entwickelte. Frauen wollten Nester bauen. Sie suchten Nähe. Er ließ das nicht zu. Trotzdem blieben sie so lange, bis er sich von ihnen trennte.
»Alles okay«, sagte er. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Kein Problem.«
»Ist mit den Mädchen alles in Ordnung?«
»Ja. Jills Mutter war hier und hat ihre Tochter abgeholt. Yasmin ist oben auf ihrem Zimmer.«
»Gut, prima.«
»Hast du Hunger, Guy? Soll ich dir was zu essen machen?«
»Nur wenn du was mitisst.«
Beth strahlte ihn kurz an, und aus irgendeinem Grunde fühlte er sich dadurch schuldig. In Gegenwart der Frau, mit der er ausging, fühlte er sich gleichzeitig wertlos und überlegen. Wieder empfand er Abscheu vor sich selbst.
Sie kam zu ihm und küsste ihn auf die Wange. »Du entspannst dich ein bisschen, und ich mach uns ein Mittagessen.«
»Gut. Ich guck nur noch mal eben, ob ich neue E-Mails gekriegt habe.«
Oben am Computer stellte er fest, dass er nur eine neue Mail bekommen hatte. Sie kam von einem anonymen Hotmail-Account, und als er die kurze Nachricht las, gefror ihm das Blut in den Adern:
Bitte, Sie müssen Ihre Pistole besser verstecken.
Tia wünschte sich fast, dass sie Hester Crimsteins Angebot angenommen hätte. Sie saß in ihrem Haus und überlegte, ob sie sich je im Leben überflüssiger vorgekommen war. Sie hatte Adams Freunde angerufen, von denen wusste keiner etwas. Angst erfasste sie. Jill, die recht empfindsam für die Stimmungen ihrer Eltern war, merkte bald, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.
»Wo ist Adam, Mommy?«
»Wir wissen es nicht, mein Schatz.«
»Ich hab ihn auf dem Handy angerufen«, sagte sie. »Er ist nicht rangegangen.«
»Ich weiß. Wir suchen ihn.«
Sie sah ihrer Tochter ins Gesicht. Es sah so erwachsen aus. Das zweite Kind wuchs ganz anders auf als das erste. Beim ersten war man überfürsorglich. Man beobachtete jeden Schritt und hielt jeden einzelnen Atemzug für einen Teil von Gottes himmlischem Plan. Erde, Mond, die Sterne und die Sonne kreisten alle nur um das Erstgeborene.
Tia dachte über Geheimnisse, unausgesprochene Gedanken und innere Ängste nach und wie sie versucht hatte, dieses Innenleben ihres Sohns zu erforschen. Sie fragte sich, ob sein Verschwinden bestätigte, dass dieser Weg der richtige gewesen war, oder ob gerade das ihn vertrieben hatte. Natürlich war ihr klar, dass wir alle unsere Probleme hatten. Tia litt unter Angstzuständen. So achtete sie gewissenhaft darauf, dass die Kinder bei jeder sportlichen Betätigung einen Helm trugen – und auch eine Schutzbrille, wenn das irgendwie sinnvoll war. Sie wartete an der Bushaltestelle, bis die Kinder eingestiegen waren – auch jetzt noch, wo Adam viel zu alt dafür war und das nicht ausstehen konnte, so dass sie sich meistens irgendwo versteckte und dann alles beobachtete. Sie litt, wenn ihre Kinder eine belebte Straße überquerten oder mit dem Fahrrad in die Stadt fuhren. Sie mochte auch die morgendlichen Fahrgemeinschaften nicht, bei denen die Mütter ihre Kinder reihum zur Schule fuhren, weil sie nicht
sicher war, ob die anderen Mütter auch vorsichtig genug fuhren. Sie merkte sich alle tragischen Geschichten über Kinder, ganz egal ob es sich um Autounfälle, Entführungen oder Flugzeugunglücke handelte oder ob ein Kind durch einen Unfall im Swimmingpool ertrunken war. Sie hörte es sich im Radio an, guckte es in den Fernsehnachrichten an und dann sah sie noch ins Internet und las jeden Artikel, der darüber erschienen war, während Mike seufzend versuchte, sie zu beruhigen, indem er ihr erzählte, wie unendlich klein die Wahrscheinlichkeit war, dass einem so etwas zustieß, und ihr statistisch bewies, dass ihre Angst unbegründet war, doch das half alles nichts.
Auch diese sehr unwahrscheinlichen Ereignisse traten irgendwann ein und betrafen irgendwelche Menschen. Und jetzt hatte es sie getroffen.
Waren das alles nur Angstzustände gewesen – oder hatte sie die ganze Zeit Recht gehabt?
Wieder klingelte Tias Handy, sie griff hastig danach und hoffte aus ganzem Herzen, dass es Adam war. Er war es nicht. Die Nummer war unterdrückt.
»Hallo?«
»Mrs
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