Sie sehen dich
Sekunde.
»Da um die Ecke«, rief Betsy.
Sie bogen nach rechts ab und hielten an.
Da lag keine Leiche.
Das war das Wichtigste. Adam war nicht hier oben. Aber jemand war hier gewesen.
Da lagen zerbrochene Bierflaschen, Zigarettenkippen und offenbar auch Reste von Joints. Wie hatten sie die früher noch genannt? Roaches? Aber Tia war nicht deshalb so erstarrt.
Da standen auch Kerzen.
Jede Menge Kerzen. Die meisten waren runtergebrannt, so dass nur noch ein Wachsfleck übrig geblieben war. Tia ging hin und
berührte sie. Die meisten waren hart, aber ein paar waren noch weich, als ob sie vor Kurzem noch gebrannt hätten.
Tia drehte sich um. Betsy Hill stand stocksteif da. Sie rührte sich nicht. Sie weinte auch nicht. Sie stand nur da und starrte die Kerzen an.
»Betsy?«
»Da haben sie Spencers Leiche gefunden«, sagte sie.
Tia kniete sich hin und sah sich die Stelle genau an.
»Genau da, wo jetzt die Kerzen stehen. Ganz genau da. Ich bin hier oben gewesen, bevor sie die Leiche untersucht haben. Ich hatte darauf bestanden. Sie wollten ihn runterbringen, aber ich wollte ihn erst noch sehen. Ich wollte sehen, wo mein Junge gestorben war.«
Betsy trat einen Schritt näher heran. Tia bewegte sich nicht.
»Ich bin über den Sims hochgeklettert, den sie jetzt abgeschlagen haben. Ein Polizist wollte mir hochhelfen. Ich hab ihm gesagt, dass er die Pfoten wegnehmen soll. Dann hab ich ihnen gesagt, dass sie ein paar Schritte zurücktreten sollen. Ron hat gedacht, ich wäre übergeschnappt. Er wollte mir das noch ausreden. Ich bin trotzdem hochgeklettert. Und Spencer lag genau da. Genau an der Stelle, wo du jetzt stehst. Er hat auf der Seite gelegen und die Beine angezogen wie ein Säugling in der Gebärmutter. So hat er auch immer geschlafen. Wie ein Embryo. Bis er zehn war, hat er beim Schlafen auch am Daumen gelutscht. Hast du deinen Kindern je beim Schlafen zugeguckt, Tia?«
Tia nickte. »Ich glaub, das machen alle Eltern.«
»Und was glaubst du, warum sie das tun?«
»Weil sie dann so unschuldig aussehen.«
»Vielleicht.« Betsy lächelte. »Ich glaub aber, das liegt daran, dass wir sie dann einfach anstarren und sie bewundern können, ohne dass wir uns komisch vorkommen. Wenn du sie am Tag so anstarren würdest, würden dich doch alle für durchgeknallt halten. Aber wenn sie schlafen …«
Ihre Stimme erstarb. Sie sah sich um und sagte: »Das Dach ist ziemlich groß.«
Tia war etwas verwirrt vom plötzlichen Themenwechsel. »Stimmt.«
»Das Dach ist wirklich groß«, wiederholte Betsy. »Und hier liegen überall Flaschenscherben und so was.
Sie sah Tia an. Die wusste nicht, was sie sagen sollte, und antwortete nur. »Ja und?«
»Die Kerzen stehen genau da, wo Spencers Leiche gefunden wurde«, fuhr Betsy fort. »Das stand nicht in der Zeitung. Woher kannten sie dann diese Stelle? Wenn Spencer an dem Abend allein war, woher wussten diejenigen, die die Kerzen aufgestellt haben, dass sie genau da hingehörten?«
Mike klopfte an die Tür.
Dann wartete er auf dem Treppenabsatz. Mo saß im Wagen. Sie waren nur gut einen Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Mike gestern Abend überfallen worden war. Er wollte zurück in die Gasse, gucken, was er wiedererkannte, ob er sich an etwas erinnerte oder was auch immer. Eigentlich wusste er gar nicht genau, was er da wollte. Er probierte nur ein bisschen herum und hoffte, dass ihm irgendetwas ins Auge fiel, das ihn auf die Spur seines Sohns brachte.
Und dieser Zwischenstopp war wohl der erfolgversprechendste.
Er hatte Tia angerufen und ihr erzählt, dass er bei den Huffs kein Glück gehabt hatte. Tia hatte ihm von Betsy Hill und dem Besuch in der Highschool berichtet. Betsy war noch bei Tia gewesen.
Tia sagte: »Nach dem Selbstmord war Adam extrem zugeknöpft.«
»Ich weiß.«
»Dann ist an dem Abend vielleicht noch mehr passiert.«
»Was zum Beispiel?«
Schweigen.
»Ich muss mich noch weiter mit Betsy unterhalten«, sagte Tia.
»Sei aber vorsichtig, ja?«
»Wie meinst du das?«
Mike antwortete nicht, sie wussten aber beide, wovon er sprach. So unangenehm diese Tatsache auch sein mochte, aber es bestand die Möglichkeit, dass ihre Interessen und die der Hills nicht mehr übereinstimmten. Sie wollten es nicht aussprechen, wussten es aber beide.
»Versuchen wir doch erst mal, ihn zu finden«, sagte Tia.
»Ich bin ja dabei. Mach du da weiter, ich such ihn hier.«
»Ich liebe dich, Mike.«
»Ich liebe dich auch.«
Mike klopfte noch einmal. Im Haus
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