Sie und Er
Wohnzimmer.
Als sie beinah an der Tür zum Bad angekommen ist, hört sie die Schritte von Stefanos Mutter, die ihr durch den Flur folgt: »Chiara?«
Clare dreht sich ruckartig um, den Kopf voller hastiger Rechtfertigungsversuche.
»Hier.« Lorella Panbianco reicht ihr ein ordentlich zusammengelegtes rosa Gästehandtuch.
»Danke.« Clare zögert kurz, bevor sie zugreift.
Stefanos Mutter sieht sie mit einem inquisitorischen Blick an, vielleicht auch nur neugierig. Sobald Clare das Handtuch genommen hat, macht sie kehrt und geht auf ihren soliden, breiten Absätzen zurück, tack tock tack.
Clare schlüpft ins Bad, schließt die Tür, dreht den Wasserhahn auf, holt das Handy aus der Tasche. Sie liest Daniel Desertis Nachricht noch einmal und empfindet sie wie eine Drohung, ein heißbegehrtes Geschenk, eine Einladung mit unbegrenzten Möglichkeiten, eine Frage, die man nicht beantworten kann. Fieberhaft antwortet sie: Ich kann nicht.
Sie betrachtet sich im Spiegel: Man erkennt ihre Aufregung an den geröteten Wangen, an den geweiteten Pupillen. Mit beiden Händen schüttet sie sich kaltes Wasser ins Gesicht, dann tupft sie sich mit dem kleinen rosa Handtuch ab und schaut erneut in den Spiegel, hat aber nicht den Eindruck, dass sie nun beherrschter aussieht.
Sie pinkelt, und währenddessen vibriert das Handy auf dem Fensterbrett, das Display blinkt. Sie liest die Nachricht sofort: Aber wir müssen uns sehen, das weißt du besser als ich.
Sie zieht an der Spülung, bringt ihre Kleidung in Ordnung, wäscht sich die Hände, benetzt erneut ihr Gesicht, geht hin und her, vom Waschbecken zur Tür, das Herz macht keine Anstalten, langsamer zu schlagen, die Lunge brennt. Sie versucht, sich zu beruhigen, eine vernünftige mögliche Antwort zu formulieren. Sie denkt an das Essen mit Freunden heute Abend, das Stefano ihr schon seit Tagen angekündigt hat, daran, wie schwierig es wäre, so kurzfristig eine plausible Ausrede zu erfinden, und wie verkehrt, auch nur die Idee in Betracht zu ziehen, Daniel Deserti wiederzusehen. Sie nimmt das Handy, tippt mit fliegenden Fingern: Ich melde mich in den nächsten Tagen.
Gerade will sie die Tür öffnen, da vibriert das Handy wieder in der Tasche. Sie sieht nach, mit angehaltenem Atem: Wann?
Ihr Kopf ist zu voll, um darüber nachzudenken: Wenn ich kann, tippt sie. Dann tritt sie auf den Flur hinaus, mit lähmenden Schuldgefühlen und dem Wunsch wegzulaufen.
Es ist einfach nicht wahr, dass Warten auch faszinierende Seiten hat
Es ist einfach nicht wahr, dass Warten auch faszinierende Seiten hat, denkt er, während er durch seine irre heiße Wohnung läuft. Die Klimaanlage funktioniert nicht mehr, vielleicht wegen der zu hohen Außentemperatur oder weil er vergessen hat, sie regelmäßig warten zu lassen, aber jedenfalls hat er keine Lust, jemanden zu suchen, der sie repariert und im Haus herumfuhrwerkt. Selbst wenn das Warten auch faszinierende Seiten hätte, würden in diesem Augenblick die Ungeduld und die tausend unbeantworteten Fragen überwiegen, die an seinen Nerven zerren. Es macht ihn rasend, dass er sich freiwillig in diese Lage gebracht hat und das Rollenspiel nicht zu seinem Vorteil wenden konnte. Seit Tagen schläft er saumäßig schlecht, und obwohl er versucht hat, es auf die kaputte Klimaanlage und seine Schwierigkeiten mit dem neuen Buch zu schieben, das immer noch keine Form annehmen will: Das Problem sind eindeutig diese wiederkehrenden Bilder und Eindrücke von Clare Moletto. Es ist wie ein Fieber, das kommt und geht, und bei jedem Rückfall ist es etwas schlimmer als zuvor: ihre Art zu schauen, zu lächeln, den Kopf zur Seite zu drehen, zu gehen oder an einer Stelle zu stehen, ihre biegsame, schlanke Gestalt, ihre raschen, präzisen Gedanken. Die Farben ihrer Augen und das Licht darin, die Form ihrer Lippen, ihrer Ohren, ihrer Nase; ihr Haaransatz, das Vibrieren in ihrer Stimme, wenn man sie von ganz nahe hört. Doch was ihn am meisten beschäftigt, sind nicht die Bilder und Eindrücke, sondern die Zwischenräume, die Leere zwischen einer Geste und einem Blick, die ihn manchmal wie ein zu starker Staubsauger zu verschlucken droht, ihm seine Kritikfähigkeit und seinen Humor wegreißt und ihn wehrlos wie einen Vollidioten zurücklässt.
Es mag ja durchaus möglich sein, dass alles von seinem Krisenzustand kommt, der schlimmer und umfassender ist, als er zugeben will, und dessen Ursachen in der Erschöpfung seiner kreativen Ader, in den
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